Wie Lobby-Kontrolle funktionieren sollte - und wo sie dringend gebraucht wird: Zwei aktuelle Fälle aus Brüssel und Paris
Liebe Interessierte,
Wenn Minister*innen unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsjob in die Lobby wechseln, dann besteht immer Bedarf an Kontrolle auf Interessenkonflikte. Regierungsvertreter sind gefragtes Personal bei Lobbyorganisationen. Sie verfügen über umfassende Kontakte in die Politik, kennen Gesetzgebungsverfahren bestens und sie geben dem Lobbyinteresse einen allgemeinnützigen Anstrich. Nach dem Motto: Wer jahrelang Minister war, der kann sich doch für seinen neuen Arbeitgeber nicht komplett gegen seine bisherigen Überzeugungen stellen.
Vom Landwirtschaftsminister zum Lobbyisten
Ein besonders krasser Fall eines solchen Drehtürwechsels beschäftigt aktuell die französische Politik. Didier Guillaume war bis Juli 2020 französischer Agrarminister und startete kurz nach dem Ausscheiden aus dem Amt seine eigene Beratungsfirma. Über ein Startup-Netzwerk pflegte er Lobbykontakte zu ehemaligen Kolleg*innen und sogar dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. ABER: Dieses Verhalten bleibt nicht folgenlos. Denn in Frankreich wacht ein unabhängiges Ethikgremium darüber, dass bei Wechseln von Politiker*innen in die Wirtschaft keine Interessenkonflikte entstehen. Diese “Hohe Autorität für Transparenz im öffentlichen Leben” hat Guillaume jetzt die Grenzen aufgezeigt. Lobbying gegenüber bisherigen Kollegen bleibt ihm bis 2023 verboten.
Unabhängige Kontrolle sorgt in Frankreich dafür, dass ein dreister Fall von Drehtürwechseln in Frankreich nicht laufen gelassen wird. Ein vergleichbarer Fall in Brüssel zeigt aber, wie dringend wir ein entsprechendes Kontrollgremium auch für die EU-Institutionen brauchen.
Digitalregulierer wechseln die Seiten
In Brüssel sind gleich drei Beamte aus der Wettbewerbskontrolleinheit der EU-Kommission zu Kanzleien gewechselt, die große Digitalkonzerne betreuen. Unter ihnen befindet sich auch der Top-Beamte Nicholas Banasevic. Das brisante: Die Kommissionsbeamten arbeiten jetzt – kaum ein Jahr nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission – für ein Unternehmen, dass die Interessen jener Kunden wie Google und Apple vertritt, die zuvor von ihnen in der EU-Kommission reguliert wurden. Es ist naheliegend, dass sich die Kanzleien hier Insiderkontakte und Insiderwissen eingekauft haben.
Die Entscheidung der Kommission, wie die Regeln gegen Drehtüren umgesetzt werden sollen, sieht explizit vor, Wechsel ganz zu verbieten, wenn ein Anwalt die Seiten vor Gericht wechseln würde. Genau das passiert im Fall Banasevic. Er war der Vorgesetzte zweier Abteilungen der EU-Kommission die gegen Apple wegen Verletzungen von Wettbewerbsregeln vorgingen. Banasevics neuer Arbeitgeber Gibson, Dunn & Crutcher LLP vertritt regelmäßig Apple. Trotzdem genehmigte die Kommission diesen Vertrag.
Die EU-Kommission beteuert, dass sie über die Wechsel informiert war und den Ex-Beamten entsprechende Vorgaben gemacht hat, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Das Problem: Es gibt hierfür keine unabhängige Kontrollinstanz. Niemand wird überprüfen, ob der naheliegende Fall eintritt, dass ein Ex-Beamter sein Insiderwissen dazu einsetzt, um einem zahlkräftigen Privatkunden einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die EU-Bürgerbeauftragte hat diese Missstände bereits angeprangert und der Kommission deutlich gemacht, dass es hier eine Neuregelung braucht.
Unabhängige Kontrolle stärkt das Bürger*innen-Vertrauen
Wir sagen deutlich: Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission bei Drehtürwechseln einfach Blankoschecks ausstellt. Solche Graubereiche können wir nicht zulassen. Es kann nicht sein, dass ein Wettbewerbsregulierer von einem Unternehmen eingekauft wird, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Für diese Fälle brauchen wir in Zukunft Klarheit und eine unabhängige Kontrollinstanz, die solchen Deals im Zweifel auch einen Strich durch die Rechung macht. Das Europaparlament hat bereits für ein unabhängiges Ethikgremium gestimmt. Jetzt liegt es an der EU-Kommission, in den Verhandlungen mit uns eine starke Instanz auf den Weg zu bringen. Damit Allgemeininteresse und wirtschaftliche Interessen getrennt bleiben. Damit die Bürger*innen in die Europäische Demokratie vertrauen.
Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission bei Drehtürwechseln einfach Blankoschecks ausstellt.