Daniel Freund

7. Juli 2021 Antikorruption

Rechtsgutachten beweist: Kommission verschleppt Sanktionen gegen Ungarn mutwillig

Die EU-Kommission muss umgehend ein Sanktionsverfahren gegen die ungarische Regierung auslösen. Ein entsprechendes Rechtsgutachten hat das Verhandlungsteam des Rechtsstaatsmechanismus des Europäischen Parlaments (Petri Sarvamaa, EVP; Eider Gardiazabal, S&D; Katalin Cseh, Renew; Daniel Freund, Greens/EFA) heute in Straßburg vorgestellt.

In dem Rechtsgutachten legen die RechtswissenschaftlerInnen Prof. Kim Scheppele (Universität Princeton), Prof. Daniel Kelemen (Universität Rutgers), und Prof. John Morijn (Universität Groningen) dar, dass die eklatanten Defizite des Rechtsstaats in Ungarn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen, um den Rechtsstaatsmechanismus auszulösen. Um ein Sanktionsverfahren einzuleiten, muss die Kommission nachweisen, dass in einem Mitgliedstaat mindestens eins von acht in der Verordnung aufgelisteten Rechtsstaatsdefizite mit Auswirkung auf das EU Budget vorliegt. Laut Rechtsgutachten liegen in Ungarn gleich sechs der acht Defizite vor. Diese betreffen die folgenden drei Bereiche:

1. KEINE TRANSPARENTE VERTEILUNG VON EU-GELDERN: Insbesondere das öffentliche Beschaffungswesen weist in Ungarn zahlreiche Unregelmäßigkeiten auf, die in erheblichem Maße dem Umfeld des Premierministers zugute kommen. Mit der Überführung von Hochschulen in private Stiftungsstrukturen werden zukünftig noch mehr (EU-) Gelder der öffentlichen Kontrolle entzogen.

2. KEINE UNABHÄNGIGEN ERMITTLUNGSBEHÖRDEN: Korruption, vor allem im Bezug auf hochrangige Regierungsvertreter*innen, wird von den ungarischen Ermittlungsbehörden nicht systematisch verfolgt. Die Organisationsstruktur der Staatsanwaltschaft lässt Zweifel an der politischen Unabhängigkeit der Behörde aufkommen.

3. KEINE UNABHÄNGIGE JUSTIZ: Richter*innen in Ungarn sind in den letzten zehn Jahren zunehmend politischem Druck ausgesetzt. Richter*innenämter werden regelmäßig mit Fidesz-freundlichen Jurist*innen besetzt. Gerichtsverfahren wurden so angepasst, dass die Regierung Fälle, die für sie von hohem Interesse sind, handverlesenen Richter*innen zuteilen kann. Urteile werden damit zuverlässig zum Vorteil der Regierung gefällt.

Das Rechtsgutachten ist in Form einer offiziellen Notifizierung nach Artikel 6(1) der Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union verfasst. Mit Verschickung des Dokuments durch die Kommission an die ungarische Regierung wäre damit ein Sanktionsverfahren eingeleitet.

Daniel Freund, Grüner Verhandlungsführer zum Rechtsstaatsmechanismus, kommentiert:

“Das Rechtsgutachten beweist, dass die EU-Kommission offenbar mutwillig Sanktionen gegen Ungarn verschleppt. Die EU-Kommission weigert sich vehement, bestehendes Recht durchzusetzen und EU-Gelder für Ungarn zu kürzen. Dabei sind die Voraussetzungen dort übererfüllt. Diese Studie bildet die rechtliche Grundlage für das Sanktionsverfahren. Die EU-Kommission braucht sie nur in einen Umschlag zu stecken und an Viktor Orban zu schicken. Wir stehen kurz vor der größten Überweisung von EU-Geldern an Ungarn überhaupt. Wenn die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sich jetzt noch weiter weigert, ihre Arbeit zu machen, macht sie sich mitschuldig an den eklatanten Rechtsstaatsverstößen in Ungarn und den Gefahren für das Geld europäischer Steuerzahler.”