Bericht: EU-Kommission entkernt und verzögert unabhängige Kontrolle von Lobbyregeln
Entgegen des Versprechens von Vizepräsidentin Vera Jourova wird die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein unabhängiges Ethikgremium doch nicht im März vorlegen. Laut einem Sprecher der EU-Kommission soll die Verzögerung offenbar noch “mehrere Wochen” dauern. Kontrolle und Durchsetzung von Antikorruptions- und Lobbyismusregeln in den EU-Institutionen durch ein unabhängiges Ethikgremium werden damit weiter verzögert. Das Europäische Parlament hatte bereits im September 2021 – also vor anderthalb Jahren – einen klaren Vorschlag gemacht und die Kommission zu Verhandlungen aufgefordert.
Deutlich schwerer wiegt jedoch, dass der Vorschlag der Kommission wohl nur wenig mit einem echten Kontrollgremium zu tun haben wird. Laut Informationen von “Politico” schwebt der Kommission lediglich ein Gremium vor, dass die Ethikregeln in den EU-Institutionen harmonisieren soll. Konkrete Fälle sollen demnach nicht untersucht und sanktioniert werden.
Daniel Freund (Grüne), Berichterstatter der Europaparlaments für ein unabhängiges Ethikgremium, kommentiert:
“Es ist besorgniserregend, dass die EU-Kommission das Ethikgremium offenbar entkernen will. Die EU-Institutionen dürfen gerne über gemeinsame Standards sprechen. Was wir wirklich brauchen, ist eine Durchsetzung der existierenden Regeln. Nur so können wir Korruption in den EU-Institutionen wirksam bekämpfen. Der sich abzeichnende Vorschlag der EU-Kommission käme – im Lichte der Skandale der letzten Monate – einer Bankrotterklärung gleich. Das gescheiterte System der Selbstkontrolle bliebe weiter erhalten. ”
“Die EU-Institutionen brauchen dringend eine unabhängige Kontrolle von Lobby- und Antikorruptionsregeln. Es ist unverantwortlich, dass die EU-Kommission den Start eines Ethikgremiums weiter verzögert. Der jüngste Skandal um die Freiflüge von Generaldirektor Hololei zeigen deutlich, dass auch die EU-Kommission nicht immun gegen Regelverstöße ihrer Beamten ist und ein großes Interesse daran haben sollte, solche Vorfälle unabhängig aufzuklären.”
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Politico Influence zum absehbaren Kommissionsvorschlag: https://www.politico.eu/newsletter/politico-eu-influence/nose-dive-for-corporate-reputations-ryanair-revolving-door-missed-deadlines-2/
Der absehbare Kommissions-Vorschlag widerspricht der bisherigen Kommissionsposition
Im Februar 2022 fand die EU-Kommission die Vereinheitlichung der Ethik-Regeln unter den EU-Institutionen, das neue Hauptziel des Ethics Body, falsch. Sie kommentierte den Parlamentsvorschlag: “The resolution calls for the currently applicable ethical framework of each institution to continue to apply and for the body to issue recommendations on that basis. The Commission agrees on that point and recalls its support for a body that does not imply the adoption of new ethical rules in the institutions or the adoption of a single set of ethical rules applicable to all institutions. Such unified rules would not be able to reflect the differences between the roles and status of the different institutions and their Members.”
Am 8 September 2022 lud die EU-Kommission die anderen EU-Institutionen auf technischer Ebene zum Austausch über das Ethik-Gremium. Teilnehmer:innen des technischen Treffens erinnern sich ebenso, dass es um die Anwendung von bestehenden Regeln auf konkrete Fälle ging, nicht vorwiegend um die Vereinheitlichung von Regeln.
Am 12 Dezember 2022 kommentiert Ursula von der Leyen den Katargate-Skandal beim Midday-Briefing und sagt plötzlich: “For us it is very critical to not only have strong rules but the same rules also, covering all institutions and not to allow for any sort of exemptions. It’s a matter of transparency, a set of very clear rules and all EU institutions should abide by the same set of rules.”
Prominente Skandale zeigen, dass die Selbstkontrolle der Kommission nicht funktioniert
- Henrik Hololei, Generaldirektor der DG Move, akzeptierte eine Einladung zu Luxus-Flügen nach Katar während seine Abteilung ein Abkommen mit dem Land verhandelte. Er erklärt keine Lobbytreffen für mehr als 9 Tage Aufenthalt im Land. Er hatte sich selbst bescheinigt, bei der Annahme der mehrere tausend Euro teuren Einladung keinen Interessenkonflikt zu haben. Die Kommission verteidigt den Vorgang als völlig innerhalb der Regeln, bis sie die Regeln plötzlich ändert und Hololei die Stelle wechselt. https://danielfreund.eu/kommissions-direktor-genehmigt-sich-freifluege-mit-qatar-airways/
- Dimitris Avramopoulos, ehemaliger Innen-Kommissar, fragte nach der Erlaubnis, bezahlter Lobbyist für die Organisation “Fight Impunity” zu sein, die Organisation über die ex-MdEP Panzeri die EP-Vizepräsidentin Eva Kaili bestochen haben soll. Obwohl die Organisation nicht registriert ist und damit ihre Finanzen nicht transparent sind, genehmigt das Ethikgremium der Kommission die Anschlusstätigkeit allein auf Grundlage der Aussagen von Avramopoulos, dass die Finanzen der Organisation okay seien und sie sich noch registrieren werde. Obwohl die Organisation sich nie registriert, fällt das erst auf, als die Presse im Skandal Fragen stellt. https://danielfreund.eu/ethics-control-of-the-eu-commission-failed-in-the-case-of-the-ngo-that-allegedly-bribed-ep-vice-president-eva-kaili/?lang=en
- Neelie Kroes, ehemals unter anderem Digitalkommissarin, fragt nach dem Ende ihres Mandats, ob sie für Uber arbeiten darf. Sie bekommt signalisiert, dass die Antwort wegen des absehbaren Interessenkonflikts nein sein wird. Aber sie zieht die Anfrage zurück und arbeitet trotzdem für Uber. Der Skandal wird erst bekannt als ein Whistleblower die Uber-files veröffentlicht. Seit Monaten ermittelt die anti-Korruptionsbehörde OLAF in dem Fall. Trotz der offensichtlichen Regelverletzung wartet die EU-Kommission bisher ab. https://danielfreund.eu/eu-commissioner-lobbied-for-uber/?lang=en
Was wir wirklich brauchen, ist eine Durchsetzung der existierenden Regeln.