Daniel Freund

6. Oktober 2022 Unkategorisiert

Ungarn: Die EU-Kommission zerlegt den Rechtsstaatsmechanismus

Diese Woche hat Budgetkommissar Johannes Hahn (EVP) im Europaparlament eine fragwürdige Auslegung des Rechtsstaatsmechanismus präsentiert. Zwar hat die EU Kommission den Mechanismus nach langem Zögern endlich gegen Ungarn ausgelöst und dem Rat im September einen Vorschlag zur Suspendierung von Geldern in Höhe von 7,5 Milliarden Euro vorgelegt. Allerdings lassen die Aussagen von Kommissar Hahn nun stark daran zweifeln, dass der EU Kommission ernsthaft daran gelegen ist, das Instrument erfolgreich für die Verteidigung des Rechtsstaats einzusetzen. Die heiklen Auslegungen der EU-Kommission im Detail:

Nicht alle Maßnahmen müssen erfüllt sein, um das Verfahren zu beenden

Im Rahmen des laufenden Verfahrens hatten sich EU-Kommission und ungarische Regierung auf 17 Reformmaßnahmen geeinigt. Am Montag erklärte Kommissar Hahn, dass nicht alle Maßnahmen bis zur Abstimmung über die Gelderkürzung im Rat im Dezember vollständig umgesetzt werden könnten. Für die Kommission ist das offenbar kein Grund, um die 7,5 Milliarden Euro weiter zurückzuhalten. Stattdessen sollen die bis dahin noch nicht erfüllten Maßnahmen Bedingung (Meilensteine) für die Auszahlung der Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds werden. Die Kommission würde somit das Druckmittel, Gelder aus dem EU-Haushalt einzufrieren, aus der Hand geben. Das von der Kommission skizzierte Szenario wäre dann: Noch vor Jahresende 2022 wird der Rechtsstaatsmechanismus eingestellt und der ungarische Wiederaufbauplan (mit Meilensteinen) genehmigt.

Keine Möglichkeit, Umsetzung der Maßnahmen zu überprüfen

Die Möglichkeit, nicht erfüllte Maßnahmen als Bedingung für die Auszahlung der Corona-Wiederaufbaufonds zu übertragen, hält Kommissar Hahn für einen “Glücksfall”. Denn laut seiner Einschätzung lasse der Rechtsstaatsmechanismus der EU keine Möglichkeit, die praktische Umsetzung der Maßnahmen langfristig zu kontrollieren. Es würden strikte Fristen gelten, laut derer der Rat bis Ende Dezember entschieden haben muss, ob die ungarische Regierung die Maßnahmen erfüllt und somit kein Risiko mehr für das EU-Budget bestehe. Die Verordnung sieht aber lediglich vor, dass der Rat innerhalb von drei Monaten entscheiden muss, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Risiko für das EU Budget besteht. Sobald der betroffene Mitgliedstaat Beweise vorlegt, dass die Rechtsstaatsmängel behoben sind, können Kommission und Rat den Zahlungsstop ganz einfach aufheben. Sind die Mängel noch nicht behoben – so wie voraussichtlich im Fall Ungarns – müssten die Gelder weiter eingefroren bleiben. Es gibt also keinen Grund, das Verfahren voreilig zu beenden.

Politisch kontrollierte Justiz keine Gefahr für EU Budget

Schließlich betonte Kommissar Hahn, dass die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn nicht in den Geltungsbereich des Rechtsstaatsmechanismus falle. Daher müsse Ungarn in diesem Bereich auch keinerlei Reformen vorlegen. Die Frage, wie die versprochene neue Anti-Korruptionsbehörde in Ungarn denn effektiv Korruption verfolgen soll, während ungarische Staatsanwaltschaften und Gerichte politisch besetzt sind, ließ er unbeantwortet.

Kein Schutz für den Rechtsstaat, kein Schutz für das EU-Budget

Die Art und Weise, wie die EU-Kommission den Rechtsstaatsmechanismus in Echtzeit zerlegt, grenzt an Arbeitsverweigerung. Ursula von der Leyens Kommissare wissen, dass es mit dem aktuellen Verfahrensstand de facto keine substanziellen Änderungen am korrupten System der Orban-Regierung geben wird. Ungarn wird auch nach dem 01.01.2023 der einzige nicht-demokratische Mitgliedstaat der EU bleiben. Fatal ist jedoch, dass Viktor Orban dann weiter voll auf die Zahlungen aus Brüssel zurückgreifen kann. Dass Signal, das die EU-Kommission in die Mitgliedsländer sendet, ist jedoch weitaus gefährlicher: Der Rechtstaatsmechanismus – das stärkste Werkzeug, um Europas Werte zu schützen – ist in den Händen der von-der-Leyen-Kommission eine zahme Hauskatze. Wer sich nicht an EU Regeln hält, unliebsame Richter*innen rausschmeißt oder sich mit EU Geldern bereichert, muss von der EU Kommission keine harten Konsequenzen fürchten.

Meine Frage an Johannes Hahn im Ausschuss:

https://twitter.com/daniel_freund/status/1577285342545125376

Meine Rede im Plenum:

https://twitter.com/daniel_freund/status/1577330717549334530

Der Rechtstaatsmechanismus - das stärkste Werkzeug, um Europas Werte zu schützen - ist in den Händen der von-der-Leyen-Kommission eine zahme Hauskatze.

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Korruption ist eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie. Autokratische Regierungen missbrauchen EU-Milliarden, um ihre Macht zu festigen, freie Medien aufzukaufen oder schlicht, um sich selbst zu bereichern. Die EU-Kommission verkennt die Gefahr und agiert fahrlässig. Ich setze mich entschieden dafür ein, dass Autokraten in Europa die EU-Gelder gestrichen und unsere Werte verteidigt werden.