Daniel Freund

1. Dezember 2021 Transparenz

Ehemalige EU-Kommissare sammeln 98 Nachfolge-Jobs während der Abkühlzeit - darunter dutzende bei Lobbyorganisationen

Am heutigen Mittwoch (01.12.2021) endet die verpflichtende zweijährige “Abkühlzeit” für alle EU-Kommissare, die am 1. Dezember 2019 aus dem Amt ausgeschieden sind. Innerhalb dieser 24 Monate wurden neue Tätigkeiten der ehemaligen Kommissare überprüft und potentiell verboten, um Interessenkonflikte zu verhindern, gerade bei geplanter Arbeit für Lobbyfirmen. Neue Jobs der Ex-EU-Kommissar*innen waren dafür durch die jetzige Kommission genehmigungspflichtig.

Eine Auswertung der durch die EU-Kommission autorisierten Nach-Mandats-Beschäftigungen (post-mandate occupations) ergibt:

Insgesamt 92 Beschäftigungen wurden von der EU-Kommission genehmigt. Mindestens sechs weitere Jobs wurden bei der Kommission nicht beantragt aber dennoch aufgenommen. Ein Großteil der Jobs birgt wohl keine Gefahr auf eventuelle Interessenkonflikte (bspw. Lehraufträge an Universitäten). Dennoch wurden 32 Tätigkeiten bei Organisationen genehmigt, die im Transparenzregister der EU-Institutionen verzeichnet sind, weil sie in Brüssel Lobbyarbeit betreiben. In der Regel versah die EU-Kommission diese Tätigkeiten mit Auflagen für die jeweiligen Ex-EU-Kommissar*innen. So sollen diese beispielsweise keine Lobbyarbeit gegenüber Ex-Kolleg*innen betreiben. Mit den aktuellen Strukturen lassen sich diese Auflagen aber kaum überprüfen.

Drei Fälle stechen ins Auge:

  • Der ehemalige deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat 19 neue Beschäftigungen angemeldet – mehr als alle anderen. Acht seiner neuen Tätigkeiten sind bei Firmen, die auch im EU Transparenzregister eingetragen sind. Darunter ist auch seine eigene Lobbyfirma “Oettinger Consulting Wirtschafts- und Politikberatung”
  • Der ehemalige irische EU-Kommissar Phil Hogan wechselte nach seinem Ausscheiden zur Kanzlei DLA Piper ohne es sich zuvor von der EU-Kommission genehmigen zu lassen. Zusätzlich gründete auch Hogan seine eigene Beratungsfirma.
  • die ehemalige slowenische EU-Kommissarin für Verkehr, Violeta Bulc, hat Beratungstätigkeiten übernommen, die dann von der Kommission untersucht und dann bei einigen Kunden ausdrücklich untersagt wurden. Dass Bulc aber Beratungstätigkeiten anbietet, fand die EU-Kommission nicht anstößig.

Daniel Freund, Berichterstatter für ein unabhängiges Ethikgremium für die EU-Institutionen, kommentiert:

Die EU-Kommission genehmigt zu viele Tätigkeiten für ehemalige Kommissare, ohne mögliche Interessenkonflikte wirklich ausräumen zu können. Auf dem Papier gibt es eine zweijährige Abkühlzeit, die aber in der Praxis einfach umgangen wird. Denn die Kommission genehmigt auch Tätigkeiten für Lobbyorganisationen und sogar die Gründung eigener Lobbyorganisationen durch ehemalige Kommissar*innen während dieser Abkühlzeit.

Hier stößt das System der Selbstkontrolle (Die aktuelle Kommission kontrolliert ihre Vorgänger) an seine Grenzen. Das Verständnis der EU Kommission was Lobbying eigentlich ist, scheint naiv, denn natürlich kann ein ehemaliger Kommissar im Aufsichtsrat eines Unternehmens auch zum Lobbying beitragen, ohne selbst an Lobbytreffen teilzunehmen.

Es darf nicht der Eindruck entstehen, das Insiderwissen, Kontakte und Zugang zur Kommission käuflich sind. Um hier entschieden gegenzusteuern braucht es ein unabhängiges Kontrollgremium, wie ich es im Europäischen Parlament vorgeschlagen habe und es ja auch von einer breiten Mehrheit unterstützt wurde.“

Eine Liste der neuen Kommissar*innen-Jobs finden sie für Ihre Recherche unter folgendem Link:

https://docs.google.com/spreadsheets/d/1EKKOjn05VG8ZaEaY3QQ2B5tMBMTnTbkc/edit?usp=sharing&ouid=107146276013639785502&rtpof=true&sd=true

Zuerst berichtete das ZDF über die Jobs der Kommissar*innen der Juncker-Kommission:

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/lobbyarbeit-ex-eu-kommissare-100.html

Unabhängiges Ethikgremium mit Mehrheit im Europaparlament

Mit überwältigender Mehrheit hat das Europaparlament Mitte September für bessere Lobbytransparenz gestimmt! Der Bericht über die „Verbesserung von Transparenz und Integrität in den Organen der EU durch die Einsetzung eines unabhängigen Ethikgremiums der EU“ wurde beschlossen. Der Entwurf von Berichterstatter Daniel Freund (Grüne/EFA) erhielt 377 Ja-Stimmen, 87 Abgeordnete votierten dagegen, bei 224 Enthaltungen. Grüne/EFA, Sozialdemokraten, Liberale (Renew) und Linke stimmten dafür. Die Christdemokraten entschieden sich kurz vor der Bundestagswahl zur Enthaltung, statt den Entwurf wie noch in der Abstimmung im Verfassungsausschuss abzulehnen. 

Ein 9-köpfiges Ethikgremium aus unabhängigen Experten soll künftig die Regeln gegen Interessenkonflikte, Drehtüreffekte und Korruption innerhalb der EU-Institutionen glaubwürdig durchsetzen. Der Bericht fordert die EU-Kommission auf, eine interinstitutionelle Vereinbarung über die Einrichtung eines EU-Ethikgremiums auszuarbeiten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihre Unterstützung bereits versprochen und Vizepräsidentin Vera Jourová damit beauftragt.

Es darf nicht der Eindruck entstehen, das Insiderwissen, Kontakte und Zugang zur Kommission käuflich sind.

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Brüssel ist Europas Lobby-Hauptstadt. 35.000 Lobbyisten versuchen EU-Gesetze zu beeinflussen. Doch nicht alle halten sich an die Regeln. Kommissare wechseln in die Wirtschaft. Abgeordnete arbeiten nebenher als Lobbyisten. Wir müssen mehr Transparenz darüber schaffen, wann wer und wo an Europäischen Gesetz schreibt. Und wir müssen sicherstellen, dass die bestehenden Regeln eingehalten werden - mit einem unabhängigen Kontrollgremium.