Bericht aus Polen: Schockierend zu sehen, wie Justiz, Opposition und Zivilgesellschaft von der Regierung drangsaliert werden
Der Rechtsstaat in Polen steht unter enormer Gefahr. Richter*innen werden drangsaliert, Oppositionelle werden öffentlich diffamiert und die Zivilgesellschaft ausgegrenzt. Das sind die traurigen Eindrücke meiner Reise nach Warschau in dieser Woche. Nach drei bewegenden Tagen und zahlreichen Treffen ist es mir noch unverständlicher, warum die EU-Kommission den Schutz des Rechtsstaats über Jahre auf die lange Bank geschoben hat und noch immer nicht aktiv geworden ist.
Mitglieder des Europäischen Parlaments sind am Montag in offizieller Mission nach Warschau gereist. Auch ich habe mich dieser Mission angeschlossen, da sich vor Ort immer neue und intensivere Eindrücke ergeben, als das in der Ausschussarbeit im Parlament der Fall ist. Wir haben mit Vertreter*innen von Justiz, Medien, Unternehmen und Zivilgesellschaft gesprochen. Es hat mich sehr bedrückt zu sehen und zu hören, wie systematisch und perfide die Regierung in Polen gegen Andersdenkende vorgeht und den Rechtsstaat unterminiert. Von seiten der polnischen Regierung hat sich kein einziger Vertreter auf unsere Einladung zum Gespräch eingelassen.
Perfides Vorgehen gegen unabhängige Justiz
Bei einem Treffen am Mittwoch hatte ich die Gelegenheit mit Richter*innen und Staatsanwält*innen zu sprechen, die aufgrund ihrer Arbeit – und der Anwendung Europäischen Rechts – ins Fadenkreuz der Regierung geraten sind. Sie wurden in der Öffentlichkeit de facto zu Feinden Polens erklärt, an andere Dienstorte versetzt, auf Plakaten diffamiert, zum Teil wurden sogar ihre privaten Wohnhäuser mit Eiern beworfen. All das passierte, weil sie unabhängig ihre Arbeit machen.
So wurden in den vergangenen Jahren Gerichte in Polen mit loyalen Richter*innen aufgebläht. Der Europäische Gerichtshof hat das mehrfach für unvereinbar mit rechtsstaatlichen Prinzipien erklärt. Passiert ist dennoch nichts. Und so werden nahezu täglich Urteile gesprochen, die unrechtmäßig zustande gekommen sind und dennoch Auswirkungen auf die Lebensrealität von Millionen EU-Bürger*innen haben.
Unmittelbares Handeln der EU-Kommission erforderlich
Das enorme Ausmaß der Rechtsstaatsschäden in Polen hat mich schockiert. Es steht in Kontrast zur Linie der EU-Kommission, die sich bei der Evaluierung der Probleme in Polen weiter Zeit lassen will. Die illegitimen Urteile, die jeden Tag gefällt werden; die Zwangsversetzungen von Staatsanwältinnen weg von ihren Familien; das Abhören von Oppositionellen mit Hilfe von Pegasus; all das lässt sich nicht einfach zurückdrehen, wenn die Kommission irgendwann endlich den Rechtstaatsmechanismus einsetzt.
Hier müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, die klar machen: Wir dulden diesen Demokratie-Abbau nicht.
Nun mag die EU-Kommission angesichts der aktuellen Krise an der Europäischen Ostgrenze weiter mit Zurückhaltung agieren, um den Partner*innen in Warschau nicht vor den Kopf zu stoßen. Ich halte diese Vorgehensweise für falsch. Gerade angesichts einer autokratischen Bedrohung von Außen ist es wichtig, dass Europa die Reihen geschlossen hält und Europäische Werte auch im Innern schützt. Wir Europäer*innen müssen unsere Werte, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat hochhalten. Das ist unser bester Schutz gegen die Bedrohung durch Autokraten – ob von innen oder von außerhalb der EU.
Europa duldet diesen Demokratie-Abbau nicht!