Ungarn vor der Richtungswahl: Mit demokratischen Standards nur noch wenig zu tun
Auf tausenden Großflächenplakaten in ganz Ungarn prangt das Gesicht von Peter Marki-Zay. Der Spitzenkandidat der vereinten Opposition blickt grimmig drein. Neben ihm steht in fetten Großbuchstaben: “DER IST GEFÄHRLICH!” Bezahlt wurden die Plakate von Viktor Orbans Fidesz-Partei. Sie stehen sinnbildlich für den Wahlkampf der Orban-Regierung. Es geht nicht um eigene Inhalte. Es geht nicht um eine Vision für Ungarn und Europa. Es geht einzig und allein darum, den politischen Gegner fertig zu machen und an der Macht zu bleiben.
Am 3. April wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Es ist eine Richtungswahl – nicht nur für Ungarn und Europa. Sie wird zeigen, ob es einer demokratischen Opposition überhaupt noch gelingen kann, autokratische Verhältnisse und Korruption in Wahlen zu überwinden. Sie wird auch zeigen, ob jahrelange Untätigkeit der EU-Kommission dazu führen wird, dass ein Regierungschef, der aus seinen antidemokratischen Intentionen keinen Hehl macht, seine Macht zementiert.
Ich bin in der Wahlwoche gemeinsam mit Toni Hofreiter, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses im Bundestag, nach Ungarn gereist, um zu beobachten, wie frei und fair die Wahlen ablaufen. Wir haben mit Politiker*innen gesprochen, mit Journalist*innen, mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und mit internationalen Beobachter*innen. Die Erkenntnisse sind zum Teil ernüchternd.
Eine ganze Trickkiste zur Wahlmanipulation
Für den aktuellen Urnengang hat die Orban-Regierung ein ganzes Arsenal an Tricks und Kniffen aufgebracht, um die Wahlen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Einige davon mögen wie eine Lappalie erscheinen. In der Gesamtheit aber lassen sie deutliche Wahlmanipulationen erkennen. So wurden Wahlkreise so zugeschnitten, dass die Regierungskandidaten dadurch bevorteilt werden. Das Wahlrecht für Auslandsungarn wurde so angepasst, dass Fidesz-Wähler*innen mehr Gewicht verschafft wird. In einigen Wahlkreisen sollen Kandidat*innen aufgestellt worden sein, deren Nachname jenen der Oppositionskandidaten ähnelt. Allein der Zuschnitt der Wahlkreise könnte am Ende dazu führen, dass Orbans Fidesz eine absolute Mehrheit bekommt, obwohl sie in den Umfragen mit der Opposition nahezu gleichauf liegen. Dazu kommt das krasse Missverhältnis in den Wahlkampfbudgets. Allein bei der Anzahl der Großflächenplakate in Ungarn ist das Verhältnis 1 zu 10 für die Orban-Regierung. Zum Teil wurden diese mit Steuergeldern – und nicht mit Parteigeldern finanziert. Auch darüber hinaus hat Orban die Staatskasse für sich im Wahlkampf eingesetzt: Preise für Benzin und Lebensmittel wurden gedeckelt. Massive Steuererleichterungen wurden erlassen. Immer verbunden mit dem Hinweis: Damit ist es vorbei, wenn die Opposition gewinnt.
Die Presse als Sprachrohr der Regierungspropaganda
Systematisch ist die Orban-Regierung in den vergangenen zehn Jahren gegen die freie Presse vorgegangen. Die meisten reichweitenstarken Print- und Onlinemedien sind in der Hand von Oligarchen mit Regierungsnähe. Sie verbreiten zum Teil fast wortgetreu die Orban-Linie und geben den Politiker*innen keinen Platz. Am deutlichsten wird dieses Missverhältnis in einer Zahl: 5 Minuten. Mehr Sendezeit bekam der Spitzenkandidat der Opposition, Peter Marki-Zay, nicht, um sein Programm im Staatsfernsehen vorzustellen. Am gleichen Tag wurden Reden von Regierungschef Orban dutzende Male wiederholt. Eine Debatte der Spitzenkandidaten im Fernsehen hat nicht stattgefunden.
Welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine?
Auch trotz dieser krassen Ungleichgewichte liegen Opposition und Regierung in den Umfragen nur wenige Prozentpunkte auseinander. Und diese Lücke könnte sich in den letzten Tagen vor der Wahl auch noch schließen. Die Opposition veranstaltet täglich mehrere Wahlkampfevents mit hunderten Besucher*innen – vor allem auch in den ländlichen Regionen. Am Montag konnte ich ein Event um südungarischen Mako besuchen. In der Fideszhochburg hatten sich mehrere hundert Menschen versammelt, um Peter Marki-Zay zu sehen. Neben der Präsenz in der Fläche könnte der Opposition auch Orbans zunehmende internationale Isolation zugute kommen. Aufgrund von Orbans Nähe zu Putin hatten sich im Zuge der russischen Invasion ehemalige Verbündete in Polen und Slowenien von ihm abgewandt. Es wird sich zeigen, ob das auch Auswirkungen auf die Wahlentscheidung der Ungar*innen haben wird.
EU-Kommission bis zum Schluss tatenlos
Viele Beobachter*innen glauben aktuell an einen Sieg der Orban-Regierung. Es wäre ein deutliches Zeichen, dass alle Vorkehrungen Orbans für den Machterhalt gegriffen hätten. Verlassen konnte er sich dabei – leider – auch auf die Unterstützung der EU-Kommission. Die hat es in den vergangenen 12 Jahren komplett versäumt, gegen die massiven Rechtsstaatsverletzungen in Ungarn vorzugehen und den Rechtsstaatsmechanismus auszulösen. EU-Gelder (17 Millionen Euro täglich) haben deshalb massiv dazu beigetragen, dass die Orban-Regierung diese unfairen Verhältnisse überhaupt erst aufbauen konnte.
Es ist eine Richtungswahl - nicht nur für Ungarn und Europa. Sie wird zeigen, ob es einer demokratischen Opposition überhaupt noch gelingen kann, autokratische Verhältnisse und Korruption in Wahlen zu überwinden.