Umstrittenes Urteil in Polen: Richtungswechsel beim Schutz des Rechtsstaats nötig
Dieses Urteil schickt Schockwellen durch ganz Europa!
Am Donnerstag hat das politisch besetzte, sogenannte “Verfassungstribunal” in Polen geurteilt, dass polnisches Recht über europäischem Recht steht. Der Vorrang des europäischen Rechts vor nationalem Recht ist ein Grundpfeiler der europäischen Integration, der mit diesem Urteil in Frage gestellt wird. Noch ist das Urteil nicht veröffentlicht, nur verkündet, und daher noch nicht in Kraft getreten.
Premierminister Mateusz Morawiecki hatte das Urteil beantragt nachdem Polen mehrfach vom Europäischen Gerichtshof auf Antrag der Kommission für seine umstrittenen Justizreformen gerügt wurde.
Ein Abschied aus der Europäischen Rechtsordnung
Mit diesem Urteil verabschiedet sich Polen aus der Europäischen Rechtsordnung. Sobald das Urteil rechtskräftig wird, muss es finanzielle Konsequenzen geben. Ohne Europäische Rechtsordnung darf es keine Zahlung von EU-Geldern geben. Europäisches Geld kann nur nach Europäischen Regeln ausgegeben werden! Die sogenannte Common Provisions Regulation* bildet die rechtliche Grundlage für ein unmittelbares Einfrieren der Subventionszahlungen an Polen. Die Bewilligung des Wiederaufbauplanes für Polen durch die EU-Kommission ist jetzt ebenso ein absolutes Tabu. Wir können nicht Milliarden an ein Mitgliedsland überweisen, ohne rechtlich sicherstellen zu können, dass das Geld auch bei denen ankommt, für die es bestimmt ist.
EU hat zu lange tatenlos zugeschaut
Die Gerichtsentscheidung in Warschau kam wenig überraschend. Sie ist auch das Resultat einer Politik, die sich zu lange geweigert hat, entschieden für den Schutz des Rechtsstaats in der Europäischen Union einzutreten. Seit Monaten verfügt die EU-Kommission mit dem Rechtsstaatsmechanismus über ein effizientes Instrument, mit dem sie auf den Justiz-Umbau in Polen hätte reagieren müssen. Ursula von der Leyen setzte stattdessen (auch mit Budapest) auf Dialog. Das hat nicht funktioniert. Im Gegenteil. Die Feinde des Rechtsstaats haben sich durch die Tatenlosigkeit der EU-Kommission ermutigt gefühlt.
Was wir jetzt brauchen, ist ein entschiedener Richtungswechsel der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten beim Schutz von Rechtsstaat, Europäischen Werten und Demokratie. Das Europäische Parlament hält hier seine Hand weiter ausgestreckt. Es ist Zeit, sie zu greifen. Es geht um nichts Geringeres als die Grundpfeiler unserer Europäischen Union.
Das urteilende “Verfassungstribunal” ist illegitim
Das sogenannte “Verfassungstribunal” ist aufgrund des politischen Einflusses, den die polnische Regierungspartei auf die Ernennung der Richter*innen ausübt kein legitimes Gericht. Nahezu alle Richter*innen des Tribunals sind handverlesene Loyalisten der PiS Partei. Darunter auch die Präsidentin des Tribunals, die das Gremium im aktuellen Fall leitete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte das Ernennungsverfahren der Richter*innen und dementsprechend dessen Zusammensetzung bereits vor einigen Monaten für unrechtmäßig befunden.
*Sofortige Suspendierung möglich bei mangelhaften Management- und Kontrollsystemen
Die Kommission kann laut „Common Provisions Regulation” (Verordnungen 1303/2013, Art 142 (1a) und 2021/1060, Art. 97 (1b)), Zahlungen aus bestimmten Fonds im geteilten Management an Mitgliedstaaten aussetzen, wenn deren Überwachungs- und Kontrollmechanismen gravierende Mängel aufweisen.
Dies umfasst die folgenden Fonds und betreffen damit einen Großteil der EU Gelder, die an Mitgliedstaaten verteilt werden: Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung, Europäischer Sozialfonds (plus), Kohäsionsfonds, Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, Europäischer Meeres- und Fischereifonds (und Aquakulturfonds), Fonds für einen gerechten Übergang, Asyl- Migrations- und Integrationsfonds, Fonds für die Innere Sicherheit und das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement.
Für Suspendierungen der Zahlungen über die “Common Provisions Regulation” braucht es keine Abstimmung des Rats der Mitgliedstaaten. Die Kommission kann hierüber unilateral entscheiden.