Daniel Freund

15. Oktober 2020 Antikorruption

Schutz von Rechtsstaat und Demokratie in der EU: An diesen zwei Punkten werden die Verhandlungen besonders schwierig

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Verhandlungsauftakt zum Schutz von Rechtsstaat und Demokratie in der EU: Am vergangenen Montag trafen sich erstmals Vertreter*innen von Europäischem Parlament, Kommission und deutscher Ratspräsidentschaft, um einen Kompromiss beim sogenannten “Rechtsstaatsmechanismus” zu erzielen. Um ein wirksames Druckmittel gegen jene zu haben, die in der EU Freiheiten und Demokratie abbauen, soll die Auszahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien geknüpft werden.

Nachdem die Kommission 2018 erstmals einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegte, verabschiedete das Europäische Parlament seine Position hierzu im Frühjahr 2019. Eine verwässerte Version des Rats der Mitgliedstaaten unter deutscher Ratspräsidentschaft liegt seit knapp zwei Wochen vor. In den Verhandlungen geht es nun darum, sich auf eine gemeinsame Position zu einigen. Die Zeit drängt: Der neue Mechanismus soll schon für den neuen EU-Haushalt ab 2021 und die Corona-Hilfen in Kraft treten.

In der ersten Verhandlungsrunde gab es von Seiten des Rates bislang kein Entgegenkommen. Nachdem das Parlament mehrfach deutlich gemacht hat, dass wir keine faulen Kompromisse beim Schutz Europäischer Werte akzeptieren werden, kristallisieren sich zwei Themenfelder heraus, bei denen es in den Verhandlungen besonders strittig werden dürfte:

 

A. Wie sollen Sanktionen ausgelöst werden?

 

Damit ein Sanktionsmechanismus überhaupt seine Wirkung erzielen kann, muss er auch zur Anwendung kommen können. Sprich: Wenn die Hürde für Sanktionen so hoch liegen, dass sie so gut wie nie genommen werden kann, dann ist der Mechanismus nutzlos. Dieser Punkt ist deshalb so zentral in den Verhandlungen. Das Europäische Parlament schlägt hier eine Widerspruchslösung vor: Die EU-Kommission würde Mängel am Rechtsstaat in einem Mitgliedsland feststellen, es sei denn, mindestens 15 Mitgliedstaaten stimmen dagegen. Würde es also zu einer Sanktionsempfehlung gegen beispielsweise Ungarn kommen, müsste Premier Viktor Orban also mindestens 14 Verbündete im Rat mobilisieren, um Sanktionen doch noch zu verhindern. 

Die deutsche Ratspräsidentschaft will dieses Prinzip aber auf den Kopf stellen. Also: Kommission schlägt Sanktionen vor. Diese treten aber NUR DANN in Kraft, wenn mindestens 15 größere Mitgliedstaaten dafür sind. Das legt die Hürde für Sanktionen unnötig hoch. Und: Es hat in der Geschichte der EU noch keinen Fall gegeben, indem eine Mehrheit der Mitgliedstaaten sich für Sanktionen gegen ein Mitgliedsland ausgesprochen hat.

 

B. Was wird überhaupt als Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit geahndet?

 

Wenn der Rechtsstaat in einem Mitgliedsland nicht mehr funktioniert, hat das weitreichende Konsequenzen für die Verteilung von öffentlichen Geldern. Tauscht eine Regierung zum Beispiel alle unliebsamen Richter*innen gegen politisch Verbündete aus, können sie Vergabeverfahren von EU Geldern zu ihren Gunsten manipulieren, ohne eine Verurteilung vor Gericht zu fürchten. Genau deshalb sieht der ursprüngliche Kommissionsvorschlag vor, dass generelle rechtsstaatliche Mängel mit einer Gelderkürzung sanktioniert werden können. Auch das Europäische Parlament unterstützt diese Position. Der Rat hat nun jedoch die Liste der zu sanktionierenden Mängel so zusammengestrichen, dass der Vorschlag den Namen “Rechtsstaatsmechanismus” kaum noch verdient. Wenn es nach dem Rat geht, sollen nun lediglich einzelne Fälle von Betrug oder Misswirtschaft von EU Geldern sanktioniert werden (hier gibt es ohnehin schon Möglichkeiten für Sanktionen). Eine Regierung, die alle unliebsamen Richter*innen austauscht, würde weiterhin keine Sanktionen fürchten müssen, solange der EU dadurch keine konkreten Kosten entstehen. Die Kommission soll genau nachweisen müssen, dass ein bestimmter Rechtsstaatsmängel zu einem konkreten Missbrauch von EU Geldern geführt hat – eine fast unmögliche Beweislast für die Kommission.

Wie geht es weiter?

Anfang nächster Woche beginnt die neue Verhandlungsrunde zwischen Vertreter*innen der Kommission, der deutschen Ratspräsidentschaft und dem Europäischen Parlament. Auch ich werde für die Grüne Fraktion im Parlament an den Verhandlungen teilnehmen. Angesichts der noch großen Differenzen ist allerdings in der nächsten Woche noch nicht mit einer Einigung zu rechnen.