Daniel Freund

28. Mai 2021 Antikorruption

EU-Kommission will Rechtsstaats-Ultimatum verstreichen lassen: Klage vor dem EuGH ist nächster logischer Schritt

Liebe Pressevertreter*innen,

liebe Interessierte,

Die EU-Kommission hat angekündigt, dass sie das Rechtsstaats-Ultimatum des Europaparlaments am 1. Juni reißen wird. In einer gemeinsamen Anhörung des Haushalts- und Haushaltskontrollausschusses erklärte ein Kommissionsvertreter am Mittwoch, die Kommission würde voraussichtlich im Herbst in einen Dialog mit den Mitgliedstaaten einsteigen, um die Auslösung des Mechanismus vorzubereiten. In der ersten Junihälfte wolle man dem Parlament zudem einen ersten Entwurf der Kommissions-internen Richtlinien zur Anwendung des Mechanismus vorlegen.

Die Anhörung folgte einer Resolution des Parlaments vom März, in der es die Kommission aufforderte, die internen Richtlinien bis spätestens 1. Juni fertigzustellen und den Mechanismus anzuwenden. Sollte die Kommission diese Deadline nicht einhalten, droht das Parlament mit einer Untätigkeitsklage gegen die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof.

Daniel Freund, Verhandlungsführer der Grünen für den Rechtsstaatsmechanismus, kommentiert:

“Die Deadline des EU-Parlaments an die EU-Kommission war eindeutig. Jetzt kündigt die Kommission an, dass sie auf dieses Ultimatum pfeift. Das ist per Definition Untätigkeit. Eine Klage vor dem EuGH ist damit der nächste logische Schritt.”

“Die Kommission betont ständig, dass kein Fall verloren geht und die paar Monate keinen Unterschied machen würden. Für die EU-Bürgerinnen und Bürger, die jeden Tag unter einer autokratischen Regierung in Ungarn leiden, macht es einen riesigen Unterschied. Seit Jahren warten sie darauf, dass die EU endlich gegen Korruption und den Abbau von Grundrechten vorgeht. Orban und sein Gefolge plündern in der Zwischenzeit weiter ungestört die öffentlichen Kassen um ihren Wahlsieg 2022 zu sichern. Das muss ein Ende haben, und zwar sofort.”

Zum Abschluss der Verhandlungen im vergangenen Jahr hatte die Kommission auf Druck von Ungarn, Polen und der deutschen Ratspräsidentschaft einem Hinterzimmerdeal zugestimmt. Damit Ungarn und Polen der Schaffung des Mechanismus zustimmen, erklärte die Kommission, den Mechanismus nicht auslösen zu wollen, solange eine Klage gegen dessen Rechtmäßigkeit vor dem EuGH anhängig ist. Dies würde die Anwendung des Mechanismus um bis zu zwei Jahre hinausziehen. Zudem wolle man zunächst interne Richtlinien für die Anwendung des Mechanismus erarbeiten. 

Aus rechtlicher Sicht kann die Anwendung des Mechanismus nicht durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufgehalten werden. Erst wenn der EuGH den Mechanismus in einem Urteil für nichtig erklärt, wäre es der Kommission untersagt, ihn anzuwenden. Auch das Erstellen von internen Richtlinien ist keine notwendige Voraussetzung, um den Mechanismus auszulösen.

9.  (...) nimmt mit Enttäuschung zur Kenntnis, dass seit dem Inkrafttreten der Verordnung keine schriftliche Mitteilung an Mitgliedstaaten erfolgt ist, obwohl zahlreiche Bedenken angesichts der im Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 der Kommission festgestellten Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip bestehen, die sich auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union auswirken und von den Mitgliedstaaten nach wie vor nicht ausgeräumt wurden; (...)

10.  fordert die Kommission auf, das Parlament regelmäßig über alle laufenden Untersuchungen von Verstößen gegen das Rechtsstaatsprinzip zu unterrichten, die die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen, wie es ihre Pflicht gemäß der Verordnung über den an die Rechtstaatlichkeit geknüpften Konditionalitätsmechanismus und die interinstitutionelle Rahmenvereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission ist;

(...)

13.  betont, dass die Anwendung der Verordnung über den an die Rechtstaatlichkeit geknüpften Konditionalitätsmechanismus nicht von der Annahme von Leitlinien abhängig gemacht werden kann, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, jede weitere Verzögerung ihrer Anwendung zu vermeiden; weist darauf hin, dass etwaige Leitlinien den Willen der beiden Rechtsetzungsorgane nicht untergraben dürfen; stellt fest, dass die Kommission damit begonnen hat, Leitlinien für die Anwendung der Verordnung auszuarbeiten; fordert, dass, falls die Kommission solche Leitlinien für notwendig hält, diese so bald wie möglich, spätestens jedoch am 1. Juni 2021, angenommen werden, und besteht darauf, dass das Parlament vor ihrer Annahme konsultiert wird;

14.  erklärt, dass für den Fall, dass die Kommission ihren Verpflichtungen aus dieser Verordnung nicht nachkommt und dem Parlament die oben genannten Informationen nicht bis zum 1. Juni 2021 vorlegt, das Parlament dies als Untätigkeit betrachten und in der Folge gemäß Artikel 265 AEUV gegen die Kommission vorgehen wird;