Daniel Freund

9. April 2025 Demokratie

NGOs unter Druck: Wie gefährlich sind die Attacken der Konservativen auf die Zivilgesellschaft?

“Radikale Aktivisten machen Kampagne gegen die EU und werden dafür auch noch von der EU-Kommission bezahlt. Skandal!” – Unter dieser Behauptung – mit mehr als zweifelhaftem Wahrheitsgehalt  – lief in den vergangenen Monaten in Brüssel eine beispiellose Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen, die in einem Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes gipfelte. Angeführt von Abgeordneten von CSU und CDU, zum Teil sogar im Schulterschluss mit extrem-rechten Parteien, wurde systematisch Stimmung gemacht gegen Nichtregierungsorganisationen, die für mehr Umwelt-, Klima- und Naturschutz kämpfen. Zwischenzeitlich bestand sogar die Möglichkeit, dass eine Brandmauer-übergreifende Mehrheit die finanzielle Grundlage von NGOs in Frage stellen könnte. Zumindest diese Attacke konnte wir aber abwehren. Worum es beim Zoff um die Zivilgesellschaft geht, wer die Attacken anführt und wie es weitergeht:

Der Vorwurf: Die EU kofinanziert Umwelt-NGOs – und die machen damit politische Arbeit

Im Streit um die NGOs geht es im Kern um einen Vorwurf, der wiederholt von konservativen Politiker*innen geäußert wurde: Die EU-Kommission finanziert Nichtregierungsorganisationen und diese machen damit Lobbyarbeit im Europaparlament. Es könne ja nicht sein, so die Empörung, dass das Geld von Steuerzahler*innen dafür genutzt wird, dass eine Umwelt-NGO beispielsweise Massenmails an Europaabgeordnete verschickt, um Einfluss auf EU-Gesetzgebung zu nehmen. Ich frage mich ganz ehrlich: Wo ist der Skandal? 

In Brüssel sind über 30.000 Lobbyist*innen aktiv – darunter viele, die für große Konzerne wie Shell oder Monsanto arbeiten. Es ist völlig legitim – und sogar notwendig – dass auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen ihre Stimme erheben und EU-Abgeordnete mit Fakten und Argumenten überzeugen. Und ja, die EU-Kommission unterstützt solche Organisationen finanziell. Nicht, um ihnen eine politische Richtung vorzuschreiben, sondern damit auch kleine Akteure ohne großes Budget mitreden können. Das gehört zu einer lebendigen, demokratischen Zivilgesellschaft dazu.

Ein rauchender Colt – der nach hinten losging

Ins Rollen kam die jüngste Kampagne gegen NGOs durch ein Leak. Geheime Verträge zwischen der EU-Kommission und Umwelt-NGOs wurden an die Presse durchgestochen. In den Anhängen zu diesen Verträgen finden sich Tätigkeitsberichte der NGOs und darin auch der Vorsatz, Interessenvertretung gegenüber dem EU-Parlament zu betreiben. Für einige Konservative schien der rauchende Colt damit gefunden zu sein. Die EU-Kommission finanziert das Lobbying von NGOs. Der vermeintliche Skandal war perfekt.

Doch dann kam eine spektakuläre Wende in den Fall: Ein Investigativreport in der Süddeutschen Zeitung deckte auf, dass die EU-Kommission derartige Verträge nicht nur mit NGOs, sondern auch mit Unternehmen geschlossen hatte. Unter anderem in der Vereinbarung mit der „BayWa re“ war demnach auch die Rede von Lobbyarbeit gegenüber Politiker*innen. Besonders brisant: Im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft – der BayWa AG – sitzt die Europaabgeordnete Monika Hohlmeier von der CSU (Den Bericht in der SZ findet ihr hier). Die Vorwürfe gegen die NGOs – sie fingen an, in sich zusammenzufallen.

Die gefährlichsten Attacken wurden abgewehrt – vorerst

Die Attacken gegen die Zivilgesellschaft gingen deutlich über Verbalattacken hinaus. Die CSU brachte im Ausschuss Änderungsanträge ein, die NGOs sollten Gelder zurückzuzahlen. Weiter rechts stehende Fraktionen forderten gar einen Untersuchungsausschuss. Nichts davon fand im Europaparlament bisher eine Mehrheit. Wenn auch knapp. Eine Abstimmung im Umweltausschuss, bei der die Finanzierung von NGOs in Brüssel in Frage gestellt wurde, verloren die Konservativen mit nur einer Stimme Unterschied.

Die gefährlichsten Attacken auf die Zivilgesellschaft konnten wir vorerst abwehren. Auch weil es uns Grünen gelungen ist, Alliierte für die Zivilgesellschaft zu überzeugen und mit an Bord zu holen gegen diese plumpe Kampagne. Europas Konservative sind in den Attacken auf NGOs eben nicht geeint. Und dennoch müssen wir wachsam bleiben. Denn die Mehrheiten in Europa haben sich nach rechts verschoben. Und es gibt immer mehr Konservative, die gewillt sind, diese zu nutzen.

Es geht nicht nur um Budgets. Es geht um die Frage, wer in Europa mitreden darf.

Und wir sagen klar: Auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen gehören an den Tisch, wenn über die Zukunft Europas verhandelt wird.

Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen gehören an den Tisch, wenn über die Zukunft Europas verhandelt wird.

Mehr zum Thema

Brüssel ist Europas Lobby-Hauptstadt. 35.000 Lobbyisten versuchen EU-Gesetze zu beeinflussen. Doch nicht alle halten sich an die Regeln. Kommissare wechseln in die Wirtschaft. Abgeordnete arbeiten nebenher als Lobbyisten. Wir müssen mehr Transparenz darüber schaffen, wann wer und wo an Europäischen Gesetz schreibt. Und wir müssen sicherstellen, dass die bestehenden Regeln eingehalten werden - mit einem unabhängigen Kontrollgremium.