Daniel Freund

3. Oktober 2024 Antikorruption

Integritäts-Check der neuen EU-Kommission: Willkürlich, Unvollständig, Politisiert

Noch bevor Ursula von der Leyens Kandidat*innen für die nächste EU-Kommission im Europaparlament auf ihre fachliche Eignung für die Top-Jobs geprüft werden, müssen sie einen Integritäts-Check durchlaufen. Was heißt das konkret? Die 26 Anwärter*innen müssen dem Parlament gegenüber ihre Vermögenswerte, Beschäftigungen und sonstige Eigentumsverhältnisse erklären, damit wir dann prüfen können, ob sich hieraus Interessenkonflikte ergeben könnten. Es soll beispielsweise nicht passieren, dass ein zukünftiger Energiekommissar Anteilseigner eines großen Gaskonzerns ist.

Die Prüfung erfolgt im Rechtsausschuss des EU-Parlaments. Dort werden die Selbstauskünfte der Kommissarskandidat*innen ausgewertet. Dieser Prozess ist mangelhaft und gänzlich ungeeignet, um für eine integere EU-Kommission zu sorgen. Drei Gründe:

  1. – Die Art und Weise, wie die Fragebögen von den Kommissarsanwärter*innen ausgefüllt wurden, wirkt vollkommen willkürlich. Der Detailgrad variiert enorm. Manche geben ihren exakten Kontostand, die Quadratmeter jeder Wohnung und ihre Autos an. Andere wiederum überhaupt gar nichts. Ein Anwärter treibt es auf die Spitze, indem er selbst beurteilt, dass sich aus seinem Bank-Konto kein Interessenkonflikt ergibt – um dann weitere Auskunft zu verweigern.* 
  2. – Das Prüfverfahren findet hinter verschlossenen Türen ohne Hinzunahme externer Expertise statt. Die einzige Bewertungsgrundlage für die Abgeordneten sind die ausgefüllten Fragebögen. Eine Befragung nationaler Experten oder die Auswertung von Medienberichterstattung ist nicht vorgesehen. Eine umfassende und gründliche Prüfung auf Interessenkonflikte ist so schlichtweg nicht möglich.
  3. – Das Verfahren ist politisiert und weit von einer unabhängigen Prüfung entfernt. Im zuständigen Rechtsausschuss gelten ähnliche Mehrheitsverhältnisse, wie im Gesamtparlament. Und auch die Prüfungen werden mit Mehrheiten beschlossen. Ob die Abgeordneten also immer so genau hinschauen, wenn der/die Anwärter*in aus der eigenen Parteienfamilie kommt? Unklar. Nach der schwierigen Erfahrung vor fünf Jahren hatte sich der zuständige Rechtsausschuss Unterstützung durch einen unabhängiges EU-Ethikgremium gewünscht. Das wurde kurz vor der Europawahl beschlossen, ist aber noch nicht eingerichtet und die Kommission ist dagegen, dass es bei der Prüfung der Kommissars-Kandidaten helfen darf.

Daniel Freund, Mitglied des Europaparlaments für die Grünen, kommentiert:

“Das aktuelle Verfahren zur Prüfung der Kommissarsanwärter ist mangelhaft. Es ist ungeeignet, um Interessenkonflikte zu identifizieren und zu beheben. Die EU kann sich einen solch schlampigen Umgang bei der Besetzung ihrer Top-Jobs nicht leisten. Wir brauchen unabhängige und umfassende Prüfverfahren, um Interessenkonflikte an der Spitze der EU-Kommission zu verhindern. Hier muss sich die EU ein Beispiel an den Verfahren in Frankreich und den USA nehmen. Anwärter*innen für höchste Ämter werden dort unabhängig geprüft. Es ist für das Vertrauen in die EU-Institutionen und die Europäische Demokratie unerlässlich, dass EU-Kommissar*innen über jeden Zweifel erhaben sind.”

 

Beispiel USA: Interessenerklärungen von Donald Trump als Präsidentschaftskandidat:

Teil 1: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-1.pdf

Teil 2: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-2.pdf

Teil 3: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-3.pdf

Teil 4: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-4.pdf

Teil 5: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-5.pdf

Teil 6: https://www.citizensforethics.org/wp-content/uploads/2024/08/Candidate-Report-Donald-J.-Trump-2024-Part-6.pdf

Siehe genaue Angaben zum Wert jedes Elements.

* Detaillierter sind meist die Kandidaten aus neuen EU-Mitgliedsländern. Dort hatte die EU beim Beitrittsprozess die detaillierten Offenlegungsregeln durchgesetzt, die Kandidaten für ihre Spitzenämter jetzt selbst nicht einhalten.

Beispiel Bulgarien: Die Interessenerklärung von Ekaterina Zaharieva auf nationaler Ebene, bevor sie Kommissars-Kandidatin wurde:

https://register.caciaf.bg/2023/35724953-C693-433E-9A21-E737A841B744145683.xml 

Dort gibt sie für jede Immobilie auch Quadratmeter und Kaufpreis an:

– Apartment in Sofia, 94 square m, acquired 2009, price BGN 205,359

– Apartment in Sofia, 62 square m, acquired 2008, price BGN 23,050

– Villa with yard Kokalyane village – villa 27 square m, yard 591 square m, acquired 2016, price BGN: 46,800

– House with yard in Sofia acquired 2007, yard 599 square m, house 484 square m, price: BGN 21514 for yard, and price BGN 174,118 for construction contract for house

– House with studios, built for economic purposes on agricultural land acquired in 2008 in Greece. In 2019 Mr. and Mrs. Zaharieva acquired ½ of the property (house with studios); in 2008 Mr. and Mrs. Zaharieva acquired ½ of 7 acres of agricultural land in Greece for the price of BGN 105,114.

In addition in the same declaration the sums for bank deposits declared are:

Mrs. Zaharieva: BGN 90,169; Mr. Zahariev: BGN 10,000.

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Dezember 2016 zu Leitlinien für die Interessenerklärungen der Mitglieder der Kommission

Das Europäische Parlament,

  1. fordert die Kommission auf, den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder von 2011 unverzüglich zu überarbeiten, um sowohl den in den letzten Entschließungen des Parlaments enthaltenen Empfehlungen als auch der Entwicklung der allgemeinen und für alle EU-Organe geltenden Standards in den Bereichen Ethik und Transparenz Rechnung zu tragen; empfiehlt der Kommission, den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder zu ändern, um Folgendes sicherzustellen:
  2. a) die Kommissionsmitglieder geben alle finanziellen Interessen, einschließlich von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, die 10 000 EUR übersteigen, an;
  3. b) die Kommissionsmitglieder legen ihre sämtlichen Interessen (Anteile, Mitgliedschaften in Verwaltungsräten, Beratungstätigkeiten, Mitgliedschaften in angeschlossenen Stiftungen usw.) an allen Unternehmen, denen sie angehört haben, einschließlich familiärer Interessen, sowie Änderungen, die nach dem Bekanntwerden ihrer Kandidatur erfolgt sind, offen;”

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2016-0477_DE.html

Stellungnahme des EP-Rechtsausschuss vom 25.02.2021

Der Rechtsausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für konstitutionelle Fragen, folgende Vorschläge in seinen Entschließungsantrag zu übernehmen:

  1. … empfiehlt daher, dass der Rechtsausschuss unter uneingeschränkter Wahrung seiner alleinigen Zuständigkeit in diesem Bereich über das Vorliegen eines Interessenkonflikts bei designierten Kommissionsmitgliedern entscheidet, nachdem er eine unverbindliche, öffentliche, präzise und begründete Empfehlung eines solchen unabhängigen Beratungsgremiums erhalten hat, die ihn in seiner Absicht bestärkt; ist der Ansicht, dass der Rechtsausschuss abschließend eine Aussprache über die Empfehlungen des unabhängigen Ethikgremiums führen sollte;

https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/JURI-AD-657482_DE.pdf

Es ist für das Vertrauen in die EU-Institutionen und die Europäische Demokratie unerlässlich, dass EU-Kommissar*innen über jeden Zweifel erhaben sind.

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Korruption ist eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie. Autokratische Regierungen missbrauchen EU-Milliarden, um ihre Macht zu festigen, freie Medien aufzukaufen oder schlicht, um sich selbst zu bereichern. Die EU-Kommission verkennt die Gefahr und agiert fahrlässig. Ich setze mich entschieden dafür ein, dass Autokraten in Europa die EU-Gelder gestrichen und unsere Werte verteidigt werden.