Daniel Freund

28. Juni 2024 Antikorruption

Ungarische Ratspräsidentschaft - Was bedeutet das?

Ab dem 1. Juli hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne. Damit sitzt zum ersten Mal überhaupt eine nicht-demokratische Regierung an der Spitze der EU. Wie kann Premierminister Viktor Orban diese Rolle für sich nutzen?

Welche Befugnisse kann die Ratspräsidentschaft für sich nutzen?

Vorsitz der verschiedenen Ratsformationen und Vorbereitungsgremien

  • Nach eigenen Angaben erwartet die ungarische Ratspräsidentschaft 37 offizielle Ratssitzungen, inklusive zwei EU-Gipfeln und rund 1500 Sitzungen der Arbeitsgruppen in den nächsten sechs Monaten zu moderieren. Die ungarische Regierung plant insgesamt 230 weitere Events zu organisieren, darunter 16 informelle Ratssitzungen, einen informellen EU Gipfel und eine Tagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EU27 + 18 weitere Staaten);
  • Tagesordnung: Die Ratspräsidentschaft setzt in der Regel die Tagesordnung für jede Sitzung auf und moderiert diese dann (Einführung in den Themenbereich und die einzelnen zu besprechenden Punkte, Entscheidung wer darf Input geben, Schlussfolgerungen ziehen). Zwar kann die Ratspräsidentschaft anderen Mitgliedstaaten nicht verbieten, Themen, die nicht auf der Tagesordnung stehen, anzusprechen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Vertreter*innen der 27 Mitgliedstaaten greifbaren Fortschritt bei einer Fragestellung machen, wenn dieser Punkt nicht offiziell vom Vorsitz auf die Tagesordnung gesetzt, moderiert und ordentlich vor- und nachbereitet wird. Sollten eine Anzahl von Mitgliedstaaten bestimmte Themen trotz Weigerung der Ratspräsidentschaft besprechen wollen, müssten sie sich in einem informellen Kreis von “like-minded” Staaten treffen;
  • Timing: Zwar finden die offiziellen Ratssitzungen und Tagungen der Vorbereitungsgremien nach einem vorgegebenen Rhythmus statt, die Ratspräsidentschaft kann aber relativ frei über das Timing der informellen Events entscheiden. So zum Beispiel auch die Tagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft, die am 7. November 2024 – zwei Tage nach der US-Wahl – in Budapest stattfindet.

Leitung der legislativen Verhandlungen auf Ratsseite

  • Mehr als 120 noch nicht abgeschlossene Rechtsakte übernimmt die ungarische Ratspräsidentschaft von ihrem belgischen Vorgänger. Darunter sind mindestens 50 Rechtsakte, für die der Rat sich auf eine gemeinsame Position einigen muss und mindestens 30 Dossiers, die momentan mit dem Parlament final verhandelt werden;
  • Die Ratspräsidentschaft entscheidet über die Tagesordnung, und damit de facto auch darüber, bei welchen Rechtsakten Fortschritt bei der Erzielung einer gemeinsamen Ratsposition gemacht wird und bei welchen nicht. Bei Dossiers, die bereits bereit für die Trilog Phase sind (sprich, es gibt bereits eine gemeinsame Ratsposition) sollte es etwas schwieriger sein, die Verhandlungen zu bremsen. Die Termine für Trilogverhandlungen werden unter den drei Verhandlungspartner (Kommission, Parlament, Rat) vereinbart und somit nicht von der Ratspräsidentschaft alleine entschieden.

Welche Themen auf der Ratsagenda wird Ungarn für sich nutzen wollen?

Unterstützung Ukraine/Russland Sanktionen

  • Beim Thema Ukraine/Russland steht die Position der ungarischen Regierung in starkem Kontrast zu der Position der restlichen 26 Mitgliedstaaten. Zwar benennt das offizielle Programm der Ratspräsidentschaft Russland als “Aggressor” im Krieg gegen die Ukraine, die ungarische Regierung hat sich in der Vergangenheit aber immer konsequent gegen die militärische Unterstützung der Ukraine durch westliche Länder gestellt. Immer wieder droht Orban auch damit, die finanzielle Unterstützung der EU für Kyjiw und Sanktionen gegen Moskau zu verhindern. Zeitgleich unterhält er enge Beziehungen zu Putin und treibt Energiegeschäfte mit Moskau voran, während die meisten EU Mitgliedstaaten versuchen, sich von russischen fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen;
  • Der belgischen Regierung ist es wenige Tage vor Ende ihrer Ratspräsidentschaft noch gelungen, das 14. Maßnahmenpaket gegen Russland in Form von beispiellosen Sanktionen gegen den russischen Gassektor zu verabschieden. Die Aufgabe, ähnliche Sanktionen gegen Weißrussland auf den Weg zu bringen, wird allerdings höchstwahrscheinlich in die Hände der ungarischen Regierung fallen. Aufgrund der Haltung der ungarischen Regierung ist es wahrscheinlich, dass die Gespräche zu weiteren Russland bezogenen Sanktionen bis Anfang 2025 ins Stocken geraten werden.

Migrationspolitik

  • Die ungarische Regierung hat den Kampf gegen illegale Migration als eines der Hauptziele ihrer Ratspräsidentschaft erklärt. Auch bei diesem Themenbereich zeichnet sich ab, dass sie eine härtere Linie im Rat durchsetzen möchte. Schon in der Vergangenheit hat sie immer wieder behauptet, die EU würde sie zwingen, mehr Migrant*innen aufzunehmen und im Rat gemeinsam mit Polen gegen die europäische Asylrechtsreform gestimmt. Zuletzt bezeichnete Orban die vom EuGH auferlegten Strafzahlungen wegen Ungarns Verstoß gegen die EU-Gesetzgebung zur Behandlung von Migranten als „empörend und inakzeptabel”;
  • Die europäische Asylrechtsreform, die Ungarn und Polen zuletzt versucht hatten zu verhindern, ist inzwischen verabschiedet und daran kann auch eine ungarische Ratspräsidentschaft nichts mehr ändern. Stattdessen wird aber die externe Dimension der Migrationspolitik, also die Kooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten, in den nächsten Monaten im Vordergrund der Ratsdebatten stehen. Unter anderem wird die Ratsposition zur Richtlinie über Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise verhandelt, mit der de facto humanitäre Hilfe in Form von z.B. Seenotrettung zur Straftat erklärt werden könnte.

Wettbewerbsfähigkeit/China/Green Deal

  • Ungarn hat sich unter Orban zu einem wichtigen Handelspartner für China entwickelt. Erst im Mai diesen Jahres kündigte der chinesische Präsident Xi auf seinem Staatsbesuch in Ungarn an, die bilateralen Beziehungen mit Ungarn auf ein hohes Niveau heben zu wollen. Er erhoffe sich von der ungarischen Ratspräsidentschaft eine Gelegenheit, das Verhältnis der EU mit China zu verbessern. Orban hatte zuletzt chinesische Investitionen im großen Stil in Ungarn willkommen geheißen. Damit steht Orbans Politik auch in diesem Bereich in starkem Kontrast zu mehreren anderen EU Ländern, die ihre Abhängigkeit von China verringern wollen. Wenn die ungarische Regierung nun die Schaffung eines Rahmens für die Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zur Priorität ihrer Ratspräsidentschaft erklärt, könnte sie für stärkere Beziehungen mit autokratischen Drittstaaten wie China werben wollen;
  • Außerdem spricht die ungarische Regierung in ihrem Prioritätenprogramm zwar von “nachhaltigem Wachstum” und der Förderung des “grünen und digitalen Wandels”. In der Vergangenheit hatte sich die ungarische Regierung aber immer wieder gegen einzelne Dossiers des Green Deal gesperrt. Der von der ungarischen Regierung geförderte Think Tank MCC verglich die europäische ‘net-zero’ Politik zuletzt mit sowjetischen Regeln. Der von der ungarischen Ratspräsidentschaft ins Auge gefasste “New European Competitiveness Deal” wird daher wahrscheinlich vor allem auch die Klimapolitik der EU abschwächen sollen. 

EU-Erweiterung

  • Orbán hat durch seine engen Beziehungen zu illiberalen Machthabern im Westbalkan in der Vergangenheit immer wieder für Irritationen bei seinen europäischen Kolleg*innen gesorgt. So pflegt er besonders gute Beziehungen zu autoritären Politikern wie dem serbischen Präsident Vucic und dem Präsidenten der Republika Srbska Dodik und verteidigt deren Interessen auf EU-Ebene. Der ungarische EU-Kommissar für Erweiterung Varhelyi hat mit seiner bevorzugten behandlung von Serbien’s EU Bewerbung und der Verharmlosung von Demokratiedefiziten ebenfalls immer wieder für Irritationen in Brüssel gesorgt; 
  • Wenn auf der Prioritätenliste der Ungarn eine “konsequente und leistungsorientierte Erweiterungspolitik” steht, ist daher zu erwarten, dass sie sich dabei eher auf die Bestrebungen der Länder des westlichen Balkans als auf die Ukraine konzentrieren werden, deren EU-Beitritt es ablehnt. Zwar haben die EU-Botschafter*innen bereits grünes Licht für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Kyjiw gegeben. Minister Boka machte aber schon während der Pressekonferenz der Ratspräsidentschaft deutlich, dass die Regierung kein Interesse daran hat, der Ukraine dabei zu helfen, im Laufe ihrer Ratspräsidentschaft eines der 35 Beitrittskapitel zu eröffnen.

 

Wahl des US-Präsidenten

  • Die Wahl des nächsten US-Präsidenten wird am 5. November 2024 stattfinden und fällt damit genau in die ungarische Ratspräsidentschaft. Orban macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, dass Trump die Wahl gewinnt. Eine Abwandlung des Trump-Slogans (“Make Europe Great Again!”) soll sogar das zentrale Leitmotiv der ungarischen Ratspräsidentschaft sein;
  • Zwar kann Orban im Falle eines Wahlgewinns von Trump nicht die Kommunikationslinie der EU vorgeben. Eine Gratulation zur Wahl würde aber in diesem Fall nicht nur vom ungarischen Regierungspräsidenten kommen, sondern gleichzeitig vom aktuellen Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft. Außerdem hat die ungarische Regierung nur zwei Tage nach der US-Wahl ein Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Budapest angesetzt – eine erste Möglichkeit für die Vetreter*innen europäischer Staaten eine gemeinsame Umgehensweise mit einem potentiellen US-Präsidenten Trump festzulegen – unter dem Vorsitz Orbans.

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Korruption ist eine der größten Bedrohungen für unsere Demokratie. Autokratische Regierungen missbrauchen EU-Milliarden, um ihre Macht zu festigen, freie Medien aufzukaufen oder schlicht, um sich selbst zu bereichern. Die EU-Kommission verkennt die Gefahr und agiert fahrlässig. Ich setze mich entschieden dafür ein, dass Autokraten in Europa die EU-Gelder gestrichen und unsere Werte verteidigt werden.