1 Jahr nach Katargate: Kaum Aufklärung, wenige Erfolge, Korruptionsrisiko bleibt
An diesem Samstag (9. Dezember) jährt sich der Korruptionsskandal “Katargate” zum ersten Mal. Vor zwölf Monaten wurde die Vizepräsidentin des Europaparlaments Eva Kaili (Sozialdemokraten) in Brüssel festgenommen. Sie soll gemeinsam mit mindestens drei Kompliz*innen Bestechungsgelder aus Katar und weiteren Drittstaaten in Millionenhöhe angenommen haben, um die Arbeit und die Gesetzgebung des Europaparlaments zu manipulieren. Nach Bekanntwerden des Skandals wurden im Europaparlament mehrere Prozesse angestoßen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (Christdemokratin) legte einen 14-Punkte-Plan vor. Ein Spezialausschuss sollte Vorgänge aufarbeiten.
Ein Jahr danach ist vom damals angekündigten “Aufräumen” nur wenig übrig geblieben. Wichtige Reformen wurden zum Teil abgeschwächt, entkernt oder erst gar nicht auf den Weg gebracht. Eine wirkliche, interne Untersuchung, ob die Bestechung aus Drittstaaten erfolgreich war, fand de facto nicht statt. Einige Verbesserung der Antikorruptionsregeln und der Lobbykontrolle konnten wir dennoch durchsetzen. Das Wichtigste im Überblick:
Drei erfolgreiche Maßnahmen gegen Korruption:
- – EU-Abgeordnete sollen jetzt auch Treffen mit Vertreter*innen von Drittstaaten offenlegen
- – Was vorher freiwillig war, ist jetzt verpflichtend: Europaabgeordnete müssen fortan alle Treffen mit Interessenvertreter*innen veröffentlichen. Das schließt auch die Treffen ihrer Assistent*innen mit ein
- – Veranstaltungen mit Interessenvertreter*innen dürfen künftig nur noch dann innerhalb des Europaparlaments stattfinden, wenn diese im Lobbyregister registriert sind
Maßnahmen, die abgelehnt, abgeschwächt oder noch immer nicht durchgesetzt wurden
- – Das Europäische Parlament hatte sich mehrheitlich für Vermögenserklärungen der Europaabgeordneten ausgesprochen, um auffällige Vermögensbewegungen künftig aufdecken zu können. So soll der Erwerb von Luxusgütern durch dubiose Einkommen erschwert werden. Diese wurden vom Präsidium des Europaparlaments jedoch auf nach der Wahl verschoben, Kontrolle ist nicht vorgesehen
- – Es gibt noch immer keine wirksame und unabhängige Kontrolle der bestehenden (guten) Lobbyregeln im Europaparlament. Die Verhandlungen über ein entsprechendes Ethikgremium wurden von der EU-Kommission erst sehr spät begonnen. Ihre Haltung in den Verhandlungen ist bisher wenig konstruktiv. Der Vorschlag der Kommission geht am Problem vorbei. Wir brauchen unabhängige Kontrolle statt eine Diskussion über vereinheitlichte Regeln.
- – Es fehlt weiter ein Verbot für Abgeordnete, Geld von Lobby-Organisationen anzunehmen. Aktuell müssen Abgeordnete nicht einmal erklären, von wem genau sie Geld annehmen. Christdemokraten, Rechtsaußen und Liberale haben unsere Änderungsanträge für ein solches Verbot abgelehnt.
Das Präsidium des Europaparlaments: Wo sinnvolle Lobbyregeln verschleppt und verhindert werden
Für den Beschluss und die Umsetzung zahlreicher Antikorruptionsregeln ist das Präsidium des Europaparlaments (14 Vize-Präsident*innen und Präsidentin Roberta Metsola) zuständig. Das Gremium ist so mächtig, dass es selbst Mehrheitsbeschlüsse des gesamten Parlaments ändern oder schlichtweg ignorieren kann. Eine Allianz aus Rechten und Konservativen (inklusive der CDU) hat hier beispielsweise dazu beigetragen, dass der Schutz von Whistleblower*innen abgeschwächt wurde und dass die Pflicht zu Vermögenserklärungen erst in der nächsten Legislatur greift.
Ein Untersuchungsausschuss der keiner war: ING2
Zahlreiche Abgeordnete hatten nach Bekanntwerden der Dimension von Katargate einen Untersuchungsausschuss gefordert. Bekommen hatte man stattdessen eine Mandatserweiterung für den bereits bestehenden Ausschuss gegen Einflussnahme aus Drittstaaten (ING2). Dieser sollte sich fortan mit der Aufklärung von Katargate befassen. Passiert ist hier aber in erster Linie: nichts. Nach nur einer einzigen Sitzung wurde ein Entwurf für den Abschlussbericht vorgelegt. Es wurden keine Zeug*innen geladen, keine Dokumente angefordert oder eingesehen. Ob und wie genau Entscheidungen des Parlaments beeinflusst wurden, bleibt unklar.
Daniel Freund, Vorsitzender der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe ‘Antikorruption’ im Europaparlament (Grüne), kommentiert:
“Das Europäische Parlament hat bis heute keine Maßnahmen durchgesetzt, die ein zweites ‘Katargate’ verhindern könnten. Es hat zwar sinnvolle Verbesserungen im Bereich der Lobbytransparenz gegeben. Diese reichen aber nicht aus, um die Gefahr von Bestechungsversuchen aus Drittstaaten einzudämmen. Immer dann, wenn wirklich effektive Maßnahmen eingebracht wurden, wurden diese vor allem von den Konservativen massiv abgeschwächt. Erhebliche Korruptionsrisiken bleiben weiter bestehen. Es ist absolut fahrlässig, dass es heute – 12 Monate nach Bekanntwerden des Skandals – noch immer keine vollständige Aufklärung des Korruptionsskandals gibt. Wir wissen bis heute nicht, ob Katar erfolgreich Entscheidungen des Europäischen Parlaments manipuliert hat. Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass die Einflussnahme Katars deutlich mehr Bereiche erfasst hat, als bislang angenommen. Eine zentrale Schwachstelle, um die Lobbytransparenzregeln wirksamer zu machen, ist unabhängige Kontrolle statt Selbstkontrolle. Eine Einigung auf ein unabhängiges Ethik-Gremium wäre ein entscheidendes Zeichen vor der Europa-Wahl.”
Was aus dem 14-Punkte-Plan wurde
- Abkühlzeit für Abgeordnete: Das Präsidium hat erstmals die Einführung einer Abkühlzeit für Europaabgeordnete beschlossen, also dass Abgeordnete in den ersten 6 Monaten nach ihrem Verlassen des Parlaments nicht mit aktuellen Abgeordneten über Politik sprechen dürfen. Aber das Präsidium entschied sich mit knapper konservativ-rechtsaußen-liberaler Mehrheit für 6 Monate, statt 6 bis 24 Monate je nach Dauer der vorherigen Zeit im Parlament. Wir als Grüne wollten und wollen weiterhin bis zu 24 Monate Abkühlzeit, so lange wie das Parlament Übergangsgeld zahlt.
- Integritäts-Infos zusammengefasst auf der EP-Hompage: Die Regeln wurden wie geplant an einer Stelle leichter zugänglich gemacht. Was aber in einer Situation wie Katargate noch wichtiger wäre: alle Reden, alle Abstimmungen, alle Änderungsanträge von einzelnen Abgeordneten leicht an einer Stelle finden können statt wie jetzt nur je nach Datum und je nach Parlamentsbeschluss verlinkt.
- Keine Lobby-Veranstaltung ohne Registrierung: Diese Regeln wurden deutlich besser. Die meisten Schlupflöcher wurden entfernt. Was immer noch verhandelt wird: Kontrollieren für Veranstaltungen einzelner Abgeordneten die Verwaltung mit viel Personal und höherer Neutralität oder die Fraktionen mit wenig Personal und potenzieller Parteilichkeit die Einhaltung der Regeln.
- Verpflichtende Offenlegung der Lobbytreffen: Wirklicher Erfolg, von der Beschränkung auf nur Berichterstatter*innen und Schattenberichterstatter*innen wurde die Regel für verpflichtende Offenlegung von Lobbytreffen auf alle parlamentarischen Treffen aller Abgeordneter erweitert. Neben Treffen mit Lobbyisten müssen jetzt auch Treffen mit nicht-EU-Staaten (Drittstaaten) veröffentlicht werden.
- Verbot von “Freundschaftsgruppen” mit Drittstaaten: Die Nutzung von Parlamentsressourcen soll offiziellen EP-Delegationen vorbehalten bleiben. Informelle Gruppen von Abgeordneten mit finanzieller Unterstützung von Drittstaaten wie Aserbaidschan sind aber nicht völlig ausgeschlossen. Bei der Verletzung der bisher oft ignorierten Transparenzregeln drohen jetzt Sanktionen.
- Zugangs-Logbuch für alle EP-Besucher: Konsequente Aufzeichnungen, welcher Abgeordnete, welche Lobbyisten als Besucher ins Haus holt, können sehr hilfreich sein, um zu prüfen, ob die Angaben für Lobbytreffen vollständig sind. Weil es hier vor allem um Handeln der Verwaltung geht, ist aber wenig transparent, wie weit die Fortschritte sind.
- Zugangsrecht für ehemalige Abgeordnete anpassen: Ist angepasst. Ehemalige Abgeordnete haben 6 Monate kein automatisches Zugangsrecht zum Europaparlament mehr.
- Abgeordnete zum Lösen von Interessenkonflikten verpflichten: Berichterstatter*innen oder Schattenberichterstatter*innen für ein EU-Gesetz müssen klarer für jede Rolle prüfen, ob sie Interessenkonflikte haben. Sie können immer noch erklären, statt Konflikte zu lösen.
- Interessenerklärungen von Abgeordneten mit mehr Details: Nebeneinkünfte müssen endlich auf Euro und Cent genau angegeben werden, aber erst nach einer Schwelle von 5000 Euro bis zu der nichts angegeben werden muss. Kunden von Anwält*innen oder Berater*innen müssen immer noch nicht angegeben werden, weil unsere Änderungsanträge dafür abgelehnt wurden.
- Stärkerer Schutz von Whistleblower*innen im EP: Wir konnten durchsetzen, dass anonyme Hinweisgeber*innen bei ihrer Entdeckung auch geschützt sind und keine missbräuchlichen Zusatzanforderungen erfüllen müssen, außer zu glauben, dass, was sie berichten, wahr ist. Hinweisgeber*innen dürfen sich aber weiterhin auch bei interner Verschleppung nicht legal an die Presse wenden und haben keine starke Garantie, bei Entlassung ökonomisch geschützt zu sein.
- Ethik-Gremium im EP stärken: Es gab eine überparteiliche Einigung unter den Fraktionsverhandlern für 3 externe Mitglieder zusätzlich zu den bisherigen 5 Abgeordneten im Gremium, das Verletzungen der Verhaltensregeln untersucht. Im Plenum lehnten aber Christdemokraten, Rechtsaußen und Liberale dies ab, so dass doch keine externen Mitglieder ins EP-Ethik-Gremium kommen. Das EP-Ethik-Gremium aus jetzt 8 Abgeordneten darf pro-aktiv untersuchen. Es ist abzuwarten, ob dies genutzt wird.
- Menschenrechts-Arbeit weiterführen: für Katargate irrelevant.
- Kontaktpflege zu nationalen anti-Korruptions Institutionen: Unklares Ziel. Es fehlt schon die klare Absicht, wirksamer mit den EU-Institutionen gegen Korruption, OLAF und EPPO, zusammen zu arbeiten oder die Selbstverpflichtungen für eine unabhängige Kontrolle durch GRECO, die anti-Korruptionsexperten des Europa-Rates, einzulösen.
- Mögliche Sanktionen ausweiten: Es ist jetzt neu tatsächlich sanktionierbar, wenn Abgeordnete z.B. ihre Pflicht zur Offenlegung von Lobbytreffen verletzen. Solange die Kontrolle dieser Verhaltensregeln aber nicht unabhängig stattfindet, bleibt unwahrscheinlich, dass solche (finanziellen) Sanktionen auch tatsächlich kommen.
Über den 14 Punkte Plan hinaus:
Vermögenserklärungen: Ab Beginn nächster Legislatur müssen alle Abgeordneten ihr Vermögen auflisten. So wird es schwieriger, Schwarzgeld aus Bestechung für große Anschaffungen nutzen zu können. Für deutsche Abgeordnete ist dies völlig neu, für viele andere gilt das nach nationalen Regeln schon. Die Mehrheit von Konservativen, Rechtsaußen und Liberalen im Parlamentspräsidium hat ohne Grundlage die Einführung ein Jahr nach hinten verschoben. Bis dahin müssen nur neu nachrückende Abgeordnete ihr Vermögen erklären. Die Erklärung verschwindet in einem Umschlag in einem Safe bis ein Ermittlungsrichter danach fragt. Unabhängige Kontrollen der Daten finden bis dahin nicht statt. Wir wollen Vermögenserklärungen so öffentlich machen, wie sie das schon in vielen Mitgliedsländern sind.
Unabhängige Ethik-Kontrolle: Die Einführung eines EU-Ethik-Gremiums wird aktuell ernsthaft verhandelt zwischen Europaparlament, EU-Kommission und allen anderen EU-Institutionen und Gremien. Unabhängige Experten, die von allen gemeinsam benannt werden, könnten Empfehlungen geben, wie Regeln ernsthaft umgesetzt würden. Es scheint möglich, dass sich Parlament, Kommission und evtl. weitere darauf einigen, dies für bestimmte Regeln in Zukunft zuzulassen. Dabei bleibt die endgültige Entscheidung bei den jeweiligen Institutionen, die sich aber erklären müssten, wenn sie von der Empfehlung abweichen.
Verbot von Lobby-Nebenjobs: Das bestehende Verbot von Lobby-Nebenjobs wurde zwar leicht anders formuliert. Aber selbst die ausdrückliche Erwähnung von Abgeordneten-Nebenjobs wie “Beratung”, “Consulting” erreichte keine ausreichende Mehrheit durch Ablehnung von Christdemokraten, Rechtsaußen und Liberalen. Wir wollen ein Verbot von Bezahlung von jeglichen Organisationen, die in den Bereich des Lobbyregisters fallen, ob sie sich selbst schon registriert haben oder nicht.
Das Europäische Parlament hat bis heute keine Maßnahmen durchgesetzt, die ein zweites ‘Katargate’ verhindern könnten.