Katar-Gate Aufarbeitung: Welche Transparenzreformen blockiert werden und wo es voran geht
Die Aufarbeitung von Katargate geht schleppend voran. Wurden in den ersten Wochen nach dem Bekanntwerden des Korruptionsskandals schnelle Aufarbeitung und zahlreiche Transparenzreformen versprochen, stecken davon heute – sieben Monate später – viele in verschiedenen Prozessen fest. Es zeichnet sich bereits ab, dass wichtige Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung und Prävention nur halbherzig umgesetzt werden. In dieser Woche hat es entscheidende Entwicklungen gegeben, insbesondere beim Schutz von Whistleblowern und der Geschäftsordnung des Europaparlaments. Das Wichtigste aus (Spezial-)Ausschüssen, Präsidium und den Verhandlungen mit der EU-Kommission im Überblick.
Wirksames & unabhängiges Kontrollgremium für Lobbyregeln: Zieht das Parlament an einem Strang?
Die besten Regeln sind nur so gut wie ihre tatsächliche Umsetzung. Selbstkontrolle, dass Parlament und Kommission sich jeweils nur selbst intern kontrollieren, funktioniert aber nicht und hat eine Kultur der Straflosigkeit bei mindestens 26 dokumentierten Regelbrüchen nicht abstellen können. Das Parlament hatte 2021 auf meinen Vorschlag deshalb ein EU-Ethik-Gremium gefordert, das Regeln unabhängig kontrollieren soll. Die Kommission hatte endlich einen Vorschlag vorgelegt.
Am Mittwoch (12.07.) hat das Europaparlament den Kommissionsvorschlag für ein EU-Ethik-Gremium als völlig unzureichend kritisiert und eine erste Linie für Verhandlungen definiert. Die mit 365 ja gegen 270 nein bei 20 Enthaltungen erfolgreiche Resolution habe ich federführend verhandelt. Das Parlament bekräftigt: Es braucht nicht nur eine Gesprächsrunde der Institutionen, wie die Regeln besser und einheitlicher werden könnten, sondern eine unabhängige Kontrolle für die Durchsetzung der Regeln in konkreten Verdachtsfällen.
Beschluss: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0281_DE.pdf
Erst im September, voraussichtlich Donnerstag 7 September, entscheiden die Fraktionsvorsitzenden, wer die Verhandlungen für das Parlament mit den anderen EU-Institutionen führen wird. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte ein dreier-Team vorgeschlagen aus Daniel Freund (Grüne) als Berichterstatter, Katarina Barley (SPD) als EP-Vizepräsidentin für Transparenz und Salvatore de Meo (italienischer Christdemokrat) als Vorsitzender des Verfassungsausschuss (AFCO).
Whistleblower*innen im Europaparlament schützen: Kaum positive Änderungen geplant
Um Korruption aufzudecken, braucht es oft mutige Hinweisgeber*Innen, die Missstände melden. Bisher sind die Regeln im Parlament besonders schlecht: Anonyme Meldungen sind verboten und führen weder zu Schutz noch zu Untersuchungen. Dies ist schlechter als im EU-Gesetz für Whistleblowerschutz vorgesehen. Der 14-Punkte Reformplan von Präsidentin Metsola und den Fraktionsvorsitzenden hatte versprochen die Standards des EU-Gesetzes auch im Parlament anzuwenden.
Ein erster Entwurf für neue EP-Regeln wurde jetzt im Präsidium des Parlaments diskutiert. Der Vorschlag widerspricht aber immer noch dem EU-Gesetz: weiterhin dürfen Mitarbeiter nicht anonym melden. Bisher kritisierten nur 2 von 14 Vizepräsident*innen die eklatanten Schwächen. Nach einer Konsultation der EP-Mitarbeitervertretung soll der Beschluss in der nächsten Präsidiumssitzung am 11. September fallen. Wenn sich diese Richtung nicht mehr ändert, droht, dass das Parlament seinen selbst gesetzten Anspruch völlig verfehlt und sich selbst schwächere Regeln gibt, als sie in jeder Verwaltung und in jedem Unternehmen in Europa heute schon gelten.
“Spezial-Ausschuss” zu Katargate liefert den Abschlussbericht: Wenig Aufklärung aber zwei wichtige Forderungen
Heute (13.07.) wurde der Abschlussbericht angenommen. Er blieb einseitig fokussiert auf Beeinflussung durch Drittstaaten. Die Chance, den Korruptionsskandal Katargate im Spezialausschuss aufzuarbeiten wurde leider komplett verpasst. Wir haben noch immer keine Antwort auf die Frage, ob und welche Parlamentsentscheidungen Korruption durch Katar tatsächlich beeinflusst hat. Es wurden keine Dokument angefordert und auch keine der zuständigen Personen eingeladen oder befragt.
Der Bericht enthält fast nichts neues über den vorher beschlossenen 14-Punkte-Reformplan hinaus. Hilfreich ist die Bekräftigung, dass Abgeordnete ihre Vermögenswerte zu Beginn und zum Ende des Mandats offenlegen sollten. Der Bericht fordert auch eine Kontrolle von ehemaligen Abgeordneten durch ein neues EU-Ethik-Gremium noch über die Abkühlzeit (aktuell 6 Monate) hinaus.
Berichtsentwurf: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2023-0215_DE.html
Bessere Regeln für die Integrität der EU-Abgeordneten: Was steckt in den Entwürfen für die neue Geschäftsordnung?
Die Hälfte der 14 Punkte, des Reformplans von Parlamentspräsidentin und Fraktionsvorsitzenden, muss in der Geschäftsordnung des Parlaments umgesetzt werden, hier vor allem im Verhaltenskodex. Seit Monaten verhandelt eine intransparente “Arbeitsgruppe Geschäftsordnung” darüber. Das Ergebnis ist seit wenigen Tagen öffentlich: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0312_EN.pdf
Von den 14 Punkten ist einiges aber nicht alles versprochene umgesetzt:
- Ausweitung der Verpflichtung Lobbytreffen zu veröffentlichen auf alle MEPs, begrenzt nicht mehr nur auf Berichterstatter und Schattenberichterstatter, sondern alle mit aktiver Rolle z.B. durch einbringen von Änderungsanträgen, Reden in Plenum oder Ausschuss (was Eva Kaili tat), Emails an andere Abgeordnete, Rolle als Koordinator. Auch eine Liste der Lobbytreffen pro Dossier zu veröffentlichen, ein Legislativer Fußabdruck, wird Pflicht.
- Etwas genauere Angaben zu Nebeneinkommen: Einkünfte über 5000 EUR im Jahr müssen auf Euro und Cent angegeben werden (statt in groben Stufen). Abgeordnete die als “Consultant”, “Freelancer” oder “Rechtsanwalt” hunderte oder tausende Euro dazu verdienen müssen aber weiterhin ihre Kunden nicht angeben, obwohl das vorübergehend in den Entwürfen stand.
- Interessenerklärungen von Berichterstattern, Schattenberichterstattern, Vize-Präsidenten und Ausschuss- und Delegations-Vorsitzenden werden verpflichtend. Wenn mögliche Interessenkonflikte angegeben werden, muss das zuständige Gremium entscheiden, ob es die Person trotzdem in diese Position bringen will.
- Parteiübergreifende Freundschaftsgruppen für Drittstaaten dürfen keine Parlaments-Ressourcen nutzen, werden aber nicht verboten. Ausgenommen sind Freundschaftsgruppen für die es keine offizielle EP-Delegation gibt.
- Ausweitung von Strafen: Mögliche Sanktionen werden von 30 auf 60 Tagegelder erhöht, also bis zu 20.000 Euro. Sanktionen werden jetzt auch möglich wenn Lobbytreffen nicht veröffentlicht werden oder informelle Freundesgruppen die Öffentlichkeit täuschen wollen.
- Der Beratende Ausschuss (das EP-Ethik-Gremium) wird etwas gestärkt, bekommt aber kein wirkliches Initiativrecht und keine unabhängigen Experten. Die fünf von der EP-Präsidentin benannten Abgeordneten sollen pro-aktiv die Regeleinhaltung überwachen und Probleme der Präsidentin melden, bleiben aber von ihrem Auftrag abhängig. Sanktionen dürfen empfohlen werden, der Beschluss bleibt aber in der Hand der Präsidentin, ohne dass die Empfehlung öffentlich wird. Diese zusätzlichen Stärkungen waren bereits in Entwürfen und könnten per Änderungsantrag im Ausschuss hinzukommen.
Was völlig fehlt:
- Eine Offenlegung von Vermögen der Abgeordneten zu Beginn und Ende der Legislatur fehlt im Entwurf, obwohl das Plenum das im Februar gefordert hatte und jetzt erneut im Sonderausschuss-Bericht bekräftigte.
- Das Verbot von bezahlter Lobbyarbeit wird nicht konkretisiert als Verbot bezahlter Arbeit für Organisationen im Bereich des Lobbyregisters, obwohl das Parlament das im Februar gefordert hatte und im Sonderausschuss bekräftigt hat.
Noch vor der Sommerpause, bis 20. Juli, können Änderungsanträge eingereicht werden. Die Abstimmung im Ausschuss und im Plenum ist für September geplant.