EU-Kommission blockiert 75 Milliarden Euro für Polen - ohne Beteiligung der Kommissare
Wenn die oberste Spitze der EU-Kommission nicht involviert ist, geht es mit dem Schutz des Rechtsstaat offenbar doch schneller und konsequenter. Der polnischen Regierung droht offenbar eine Blockade von 75 Milliarden Euro aus den Geldern der Kohäsionspolitik. Der Grund: Polen setzt die Grundrechte-Charta der Europäischen Union nicht um. Das Brisante daran ist, dass dieses Verfahren weder im Rahmen des Rechtstaatsmechanismus noch des Wiederaufbauplans stattfindet. Stattdessen wird auf administrativer Ebene – also ohne Einbeziehung Von der Leyen und ihrer Kommissare – die “Dachverordnung mit gemeinsamen Bestimmungen” angewandt. Was hat es damit auf sich? Das Wichtigste im Überblick.
Was ist die “Dachverordnung für gemeinsame Bestimmungen”?
Die Dachverordnung für gemeinsame Bestimmungen (“CPR” – Common Provisions Regulation) regelt die Ausgaben von acht Fonds, die die Europäische Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und EU Regionen ausgibt. Diese acht Fonds machen ein Drittel aller EU-Mittel aus und fließen vor allem in strukturschwache Regionen. Polen ist dementsprechend einer der Hauptprofiteure dieser Gelder und soll in den nächsten Jahren rund 75 Milliarden Euro daraus erhalten.
Für jedes neue mehrjährige EU Budget wird die Dachverordnung entsprechend neu verhandelt. Die aktuelle Verordnung, die die Vergabe der Fonds aus dem aktuellen EU Budget für die Jahre 2021 bis 2027 regelt, enthält zum ersten Mal eine explizite Verpflichtung für Mitgliedstaaten, bei der Vergabe der Gelder die EU Grundrechte Charta zu achten. Hierfür hatten wir Grüne uns in den Verhandlungen besonders vehement eingesetzt. Die Kommission darf also die Gelder aus allen acht Töpfen, die unter das CPR Regelwerk fallen, zurückhalten, wenn sie der Meinung ist, dass ein Mitgliedstaat die Anforderungen der Grundrechte Charta nicht erfüllt.
Was ist konkret vorgefallen?
Im Rahmen der laufenden Verhandlungen erklärte die polnische Regierung laut Medienberichten im Juli wohl selbst, dass es die Anforderungen der Grundrechte Charta nicht erfüllt. Die Kommission stimmte dieser Beurteilung zu und schlussfolgerte, dass sie die von Polen vorgelegten Ausgaben zunächst nicht erstatten kann.
Unklar ist, gegen welche Anforderungen der Grundrechtecharta die polnische Regierung genau verstößt. Ein Problem könnte sein, dass Polen die EU Grundrechte Charta nicht umsetzt, wodurch ihre Bestimmungen nicht durchsetzbar sind und im polnischen Recht nicht direkt anwendbar sind. Zu hoffen ist, dass die Kommission auch die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und die damit einhergehende Verletzung des Rechts auf ein faires, unparteiisches Verfahren an sich als Problem sieht. In diesem Zuge könnten dann grundlegende Reformen des polnischen Justizsystems verlangt werden, um die Gelder freizuschalten.
Wie reagiert die polnische Regierung auf den Vorfall?
Die polnische Regierung bemühte sich bislang den bestehenden Budget-Streit mit Brüssel nicht weiter zu eskalieren. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki reagierte verhalten und sagte laut der FAZ er fürchte keine Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit und EU-Zahlungen aus Brüssel. Erstaunlicherweise meldet sich auch der polnische EU-Kommissar Janusz Wojciechowski zu Wort und verkündete auf Twitter, Polen könne gar nicht gegen die EU-Grundrechte-Charta verstoßen, weil man diese auch nicht unterzeichnet habe.
Daniel Freund, für die Grünen im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments, kommentiert:
“Der polnischen Regierung droht der Verlust von sehr viel EU Geld. Das ist folgerichtig. EU-Zahlungen an die Mitgliedstaaten darf es nur dann geben, wenn die Grundrechte eingehalten werden. Endlich kommt hierfür auch eines der stärksten Instrumente der EU-Kommission zum Einsatz. Es ist bezeichnend, dass diese wegweisende Entscheidung ohne Einbeziehung der Kommissions-Spitze zustande kam. Der Geld-Hebel zur Durchsetzung Europäischer Werte funktioniert, wenn die EU-Kommission ihre eigenen Regeln konsequent umsetzt und nicht aufgrund politischer Befindlichkeiten in den Mitgliedstaaten abschwächt.”
Der entscheidende Absatz findet sich in Artikel 9 der Dachverordnung:
“Die Mitgliedstaaten und die Kommission stellen die Achtung der Grundrechte und die Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beim Einsatz der Fonds sicher.”
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32021R1060&from=EN#d1e3020-159-1
Es ist bezeichnend, dass diese wegweisende Entscheidung ohne Einbeziehung der Kommissions-Spitze zustande kam.