EU-Rechtsstaatsbericht: Polen und Ungarn durchgefallen, Lobbyregeln in Deutschland bemängelt
Heute (Mittwoch) hat die EU Kommission ihren dritten Rechtsstaatsbericht veröffentlicht. Der jährlich erscheinende Bericht analysiert den Zustand des Rechtsstaates in allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zum ersten Mal sind auch konkrete Empfehlungen für jeden Mitgliedstaat enthalten. Sollten diese nicht erfüllt werden, ist das allerdings auch nicht unmittelbar mit Konsequenzen verbunden.
Daniel Freund, Grüner Berichterstatter zum Rechtsstaatsmechanismus im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments, kommentiert:
“Zum dritten Mal in Folge verteilt die EU-Kommission Rechtsstaatszeugnisse. Zum dritten Mal in Folge sind Polen und Ungarn durchgefallen. Wir wissen mittlerweile ganz genau, wie kaputt Demokratie und Rechtsstaat in beiden Ländern sind. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss endlich handeln. Wir werden das Rechtsstaatsproblem in der EU nicht lösen, wenn Ursula von der Leyen nur Berichte schreibt. Die Rechtsstaatsverstöße müssen finanziell sanktioniert werden. Es darf keine Zahlungen von EU-Geldern geben, bis der Rechtsstaat wieder funktioniert. Es ist vollkommen inakzeptabel, dass in dieser Situation weiter EU-Gelder fließen und Von der Leyen sogar erwägt, zusätzliche Zahlungen an Polen freizugeben. Auf die Rechtsstaatsverstöße in Ungarn gibt es nur eine richtige Antwort: EU-Zahlungen müssen bis auf den letzten Cent eingefroren werden.“
Wie in den vergangenen zwei Jahren dokumentiert die Kommission auch in diesem Bericht wieder schwerwiegende Rechtsstaatsverstöße in Ungarn und Polen. Statt klarer Worte beschreibt sie diese aber in ungewöhnlich zurückhaltender Sprache.
Ungarn:
- Laut Kommission seien die unabhängigen Kontrollmechanismen zur Aufdeckung von Korruption “unzureichend” (“insufficient”, S. 1). Diese Formulierung verkennt, dass unabhängige Kontrollmechanismen im Land nicht nur unzureichend, sondern nahezu nicht mehr vorhanden sind. Weder Staatsanwaltschaft, noch Justiz, das öffentliche Beschaffungswesen oder das Rechnungsprüfungsamt sind in Ungarn unabhängig.
- In Ungarn bestehen laut Kommission “Risiken” von Klientelismus, Günstlingswirtschaft und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung auf hoher Ebene. Tatsächlich besteht hier nicht mehr nur ein Risiko von Vetternwirtschaft. Wie das Corruption Research Centre in Budapest berichtet haben zwischen 2011 und 2021 42 Unternehmen im Besitz von politisch verbundenen Eigentümer*innen zusammen netto 21% der EU-finanzierten Verträge gewonnen.
- Die Kommission stellt fest, die ungarische Regierung habe von ihren Notstandsbefugnissen “ausgiebig Gebrauch gemacht” (“has been using its emergency powers extensively”, S. 1). Tatsächlich ist Ungarn seit 2015 im Notstand und die Regierung hat das ordentliche Gesetzgebungsverfahren faktisch überflüssig gemacht. Orban regiert per Dekret.
Polen:
- Laut Kommissionsbericht bestünden weiterhin “ernste Bedenken” (“serious concerns”, S.1) hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Ein weiterer Euphemismus angesichts der Tatsache, dass Polen laut einer Studie des Risikoforschungsunternehmens Verisk Maplecroft in den letzten Jahren den weltweit stärksten Rückgang von richterlicher Unabhängigkeit erlebt hat.
- Die Kommission erkennt an, dass die polnische Regierung sich verpflichtet hat, das Disziplinarregime für Richter*innen zu reformieren, die Disziplinarkammer abzuschaffen und unrechtmäßig entlassene Richter*innen wieder einzustellen. Dass die Regierung aber erst kürzlich ein Gesetz zu diesem Zwecke verabschiedet hat, was lediglich Scheinreformen vorsieht, wird nicht erwähnt.
Deutschland:
Während Deutschland im Bereich Justiz, Medienfreiheit und der institutionellen Gewaltenteilung gut abschneidet, bemängelt die Kommission im Bereich Korruption vor allem fehlende Lobbytransparenz und -regulierung. Es gebe Reformbedarf im Bezug auf die Offenlegung von Vermögenswerten von Parlamentarier*innen und Regierungsbeamt*innen. Außerdem gebe es Unklarheiten bei den Regelungen zu deren Nachfolgebeschäftigungen und Karenzzeiten. Die Kommission begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung plant, einen legislativen Fußabdruck einzuführen, um die Einflussnahme von Lobbyist*innen auf das Gesetzgebungsverfahren transparenter zu machen.
Zum dritten Mal in Folge verteilt die EU-Kommission Rechtsstaatszeugnisse. Zum dritten Mal in Folge sind Polen und Ungarn durchgefallen.