Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister am Freitag: Nehmen die Corona-Milliarden für Polen die letzte Hürde?
Am Freitag (17.06.) stimmen die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister*innen im ECOFIN-Rat über den polnischen Wiederaufbauplan ab. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Pläne vor zwei Wochen in Warschau bereits abgesegnet und einen Kompromiss ausgehandelt. Die Bundesregierung wird bei der Abstimmung durch Finanzminister Christian Lindner (FDP) vertreten. Wenn der Plan im ECOFIN einmal genehmigt wurde, kann die Kommission die Gelder in Tranchen auszahlen. Voraussetzung ist, dass die EU-Kommission die von ihr gesetzten Meilensteine von der polnischen Regierung als erfüllt ansieht.
Knüpft Von der Leyens Plan wirklich die Auszahlung von EU-Geldern an eine unabhängige Justiz in Polen?
Die polnische Regierung hat die Unabhängigkeit der Justiz in den letzten Jahren systematisch ausgehebelt. Wenn der Wiederaufbauplan nun genehmigt wird, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit EU-Subventionen in Milliardenhöhe in das politisch kontrollierte Justizsystem der PiS-Regierung fließen. Zwar hatte Kommissionspräsidentin Von der Leyen angekündigt, dass die Abschaffung der Disziplinarkammer, eine Reform des Disziplinarregimes für Richter*innen und die Wiedereinstellung unrechtmäßig entlassener Richter*innen Voraussetzung für die Auszahlung jeglicher Gelder ist. Allerdings deutet sich schon jetzt an, dass sie selbst diese wenigen Bedingungen nicht hart durchsetzen wird. So heißt es im Plan nun lediglich noch, dass die unrechtmäßig entlassenen Richter*innen die Möglichkeit bekommen müssen, ihre Entscheidung anzufechten. Darüber hinaus wäre die Erfüllung der drei Bedingungen nur ein erster Schritt für die Wiederherstellung des Rechtsstaats. Selbst wenn Polen alle Meilensteine erfüllen würde, stünde die Justiz noch immer substantiell unter Regierungskontrolle. Polen verstößt derzeit gegen 14 Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof im Justizbereich.
Aber Polen hat doch diese Woche die Disziplinarkammer abgeschafft, wie von der Kommission gefordert?
Präsident Duda hat in der Tat am 13. Juni das Gesetz zur Abschaffung der Disziplinarkammer unterschrieben. Allerdings handelt es sich hierbei nur um eine Scheinreform. Das Gesetz sieht lediglich vor, die ursprüngliche Disziplinarkammer durch eine „Kammer für berufliche Verantwortung“ zu ersetzen. Die bisherigen Zuständigkeiten und Kompetenzen bleiben bestehen und die Kammer wird weiterhin politisch besetzt werden, nun sogar direkt vom polnischen Präsidenten, statt wie zuvor vom politisch besetzten Landesrat für Gerichtswesen. Einige geringfügige Änderungen am Auswahlverfahren der Mitglieder der Kammer dienen lediglich der Täuschung. Eine Wiedereinstellung der unrechtmäßig entlassenen Richter*innen ist nicht vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist die “Abschaffung” der Disziplinarkammer nicht als erster positiver Schritt einer ernsthaften Justizreform zu deuten.
Welche Reformen bräuchte es in Polen tatsächlich für eine unabhängige Justiz?
Um sicherzugehen, dass die Wiederaufbauhilfen in ein rechtsstaatliches System fließen, bräuchte es zunächst grundlegende Reformen mehrerer Schlüsselinstitutionen. Darunter das Verfassungsgericht, der Oberste Gerichtshof und der nationale Rat für das Justizwesen – einem Gremium unter Regierungskontrolle, das für die Auswahl von Richter*innen zuständig ist. Es wäre daher ein fatales Zeichen, wenn die Mitgliedstaaten dem Wiederaufbauplan jetzt zustimmen und damit die Zahlung der Gelder de facto absegnen.
Wie wahrscheinlich ist eine Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat?
Der Plan kann durch eine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten genehmigt werden. Das heißt mindestens 15 Mitgliedstaaten, die 65% der EU Bevölkerung abdecken, müssen dem zustimmen. Würde sich eine ausreichend hohe Anzahl von Mitgliedstaaten enthalten, würde dies die Absegnung des Plans schon verhindern. Bisher hat allerdings nur die niederländische Regierung öffentlich angekündigt, sich enthalten zu wollen. Man habe sich gegen eine Ablehnung entschieden, da die anderen Mitgliedstaaten keine Unterstützung in diese Richtung angedeutet haben. Eine Absegnung des Plans durch den ECOFIN Rat am Freitag ist daher sehr wahrscheinlich.
Was hat das mit dem polnischen Veto gegen die globale Mindeststeuer zu tun?
Am Mittwoch (15. Juni) hat die polnische Regierung angekündigt, ihr Veto gegen die Einführung der globalen Mindeststeuer zurückzuziehen. Es gilt als wahrscheinlich, dass dieser Schritt in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grünen Licht der EU-Kommission für den polnischen Wiederaufbauplan steht. So hat die polnische Regierung offenbar gezielt ihr Veto eingesetzt, um EU-Milliarden zu erhalten und die Bedingungen für deren Auszahlung massiv abzuschwächen. Bei diesem Handel dürfte in erster Linie der Rechtsstaat unter die Räder geraten sein.