Daniel Freund

20. Dezember 2019 Demokratie

Europaparlament will Bürgerversammlungen im EU-Reformprozess

Das Europaparlament in Brüssel. Foto: Europaparlament

Die Konferenz zur Zukunft der EU dürfte eines der prägenden Projekte der Legislatur von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden. Erstmals seit dem Lissabon-Vertrag von 2007 könnten die Europäischen Verträge wieder geändert werden. Das Ziel: Die EU soll demokratischer und handlungsfähiger werden. Der Reformprozess soll bereits im kommenden Jahr beginnen – das Europäische Parlament wird eine führende Rolle einnehmen. In den vergangenen zwei Monaten hat eine Arbeitsgruppe im Parlament einen ersten Entwurf für den Aufbau der Konferenz erarbeitet. In den Verhandlungen habe ich mich für eine starke Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in den Prozess eingesetzt. Mit Erfolg: Bürgerversammlungen werden eine zentrale Rolle spielen. Änderungen der Europäischen Verträge werden ein wahrscheinliches Ergebnis der Konferenz sein.

Die EU steht gegenwärtig vor enormen Herausforderungen, verfügt aber nicht über die Werkzeuge oder das Budget, um diese wirksam anzupacken. Ob beim Klimaschutz, der Außenpolitik, bei der Digitalisierung, Migration oder der Besteuerung von Großkonzernen: Die EU steht sich hier häufig selbst auf den Füßen. Folglich gilt es in der Konferenz jene Politikfelder zu identifizieren, in denen sich die Probleme eines ganzen Kontinents nur durch einen europäischen Ansatz lösen lassen. Auf der Konferenz wollen wir eine offene und breite Debatte, sowohl zu großen politischen Fragen, als auch zur Verfasstheit der EU. Es gilt zu klären, welche institutionellen Veränderungen nötig sind, um Bürger*innen besser an den politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen und die EU schlagkräftiger werden zu lassen. Hier will sich die Konferenz unter anderem Fragen des Wahlrechts widmen. Ziel ist es, transnationale Listen und das Spitzenkandidaten-Prinzip für die Europawahl 2024 auf den Weg zu bringen.

Nach den Vorstellungen des Europäischen Parlaments wird die Konferenz aus zwei Säulen bestehen.

- Bürgerversammlungen – Repräsentativ geloste Bürger aus ganz Europa sollen in bis zu sechs Versammlungen Empfehlungen erarbeiten, die dann an eine institutionelle Säule weitergeleitet werden. Pro Versammlung wird es etwa 200 Teilnehmer*innen geben, die zu einem zuvor bestimmten, politischen Thema debattieren werden. Die Versammlungen werden in verschiedenen europäischen Städten abgehalten – mit Bürger*innen aus allen Mitgliedstaaten.
- In der zweiten, institutionellen Säule werden die Vorschläge aus den Bürgerversammlungen in konkrete Gesetzesvorhaben oder gar Vertragsänderungen übersetzt. Sie besteht aus Vertretern der EU-Kommission, des Rates, des Europaparlamentes und der nationalen Parlamente – allen politischen Organen also, die später an der Ratifizierung der Gesetzesvorhaben beteiligt sein werden. Auch Vertreter regionaler Parlamente und der Zivilgesellschaft werden beteiligt sein.

Die verhandelten Gesetzesvorschläge aus der zweiten Säule werden abschließend noch einmal den Bürgerversammlungen vorgelegt, um sicherzustellen, dass sie den Vorstellungen der Bürger*innen entsprechen. Die EU-Institutionen verpflichten sich daraufhin, die Empfehlungen umzusetzen und ein Gesetz auf den Weg zu bringen, beziehungsweise eine Vertragsänderungsverfahren einzuleiten.

Ein Lenkungsausschuss (Steering Committee) wird der Konferenz vorstehen. Vertreter der Kommission, des Rates und der sieben Fraktionen im EU-Parlament werden sich mit organisatorischen und logistischen Fragen befassen.

Der Entwurf der parlamentarischen Arbeitsgruppe wurde von den Fraktionsvorsitzenden angenommen und wird im Januar final als Resolution im Plenum abgestimmt. Dann beginnen die Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem Rat. Der Zeitplan ist ambitioniert. Denn bereits am 9. Mai 2020 soll die Konferenz beginnen. Am Europatag wurde 71 Jahre zuvor die Schuman-Erklärung unterzeichnet. Die Reformkonferenz soll insgesamt zwei Jahre dauern.

Rund um die Vorbereitungen zur Konferenz gab es in Brüssel eine Personaldebatte. Sowohl Guy Verhofstadt als auch Parlamentspräsident David Sassoli machten ihre Ambitionen auf den Vorsitz deutlich. Der Konflikt ist bislang noch nicht aufgeklärt. Für uns Grüne ist allerdings klar: Personalfragen sollten nicht im Vordergrund stehen. Dabei ist es durchaus sinnvoll, diesen Posten mit einer Persönlichkeit von europäischer Strahlkraft zu besetzen – am besten natürlich in Form einer Doppelspitze. Entscheidungen hier wird es voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres geben.