Schweden übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft: Fortschritte beim Rechtsstaat, aber Stillstand bei der EU-Reform
Schweden hat zum 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson hat heute (Dienstag) im Europaparlament die Prioritäten vorgestellt, die in den kommenden sechs Monaten die Agenda der EU-Politik bestimmen sollen. Laut eigener Aussage will er die Union “grüner, sicherer und freier” machen. Der klare Fokus der schwedischen Präsidentschaft liegt auf der europäischen Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Schweden wolle die wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine priorisieren und die europäische Kooperation in der Verteidigung ausbauen. Doch auch die ‘Europäische Demokratie’ ist Teil des Arbeitsprogramms:
Rechtsstaat
Zu den 4 Prioritäten der schwedischen Ratspräsidentschaft gehört dezidiert auch die Verteidigung des Rechtsstaats in Europa. Schweden will die Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn und Polen im Rat vorantreiben. Premierminister Kristersson machte in seiner Rede heute deutlich, dass die “EU ein Club von Demokratien” sei. Der Kampf gegen autoritäre Strömungen in einigen EU-Mitgliedsländern könnte damit verstärkt auf der Agenda der kommenden sechs Monate stehen.
EU-Reform
Schweden wolle weiter an der Umsetzung der Ergebnisse der EU-Zukunftskonferenz arbeiten und hier einen “breiten Konsens unter den Mitgliedstaaten” herstellen. Konkret heißt das offenbar, dass weiter an der Abschaffung der Einstimmigkeit in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik gearbeitet werden soll. Vertragsänderungen – wie vom EU-Parlament und europäischen Bürger*innen gefordert – sind hierfür nicht vorgesehen. Die Einberufung eine EU-Konvents ist nicht auf der schwedischen Agenda. Wichtige EU-Reformen sind damit bis auf weiteres blockiert.
Europawahlen
Aktuell schließt sich das Gelegenheitsfenster für eine Reform des Europäischen Wahlrechts. Änderungen sind nur bis ein Jahr vor der Wahl, also bis zum Mai möglich. Das Europaparlament hatte ein neues Wahlrecht mit europäischen, transnationalen Listen vorgeschlagen. Wählerinnen und Wähler könnten so in der Wahlkabine entscheiden, wer als Kommissionspräsident:in einen Auftrag aus ganz Europa bekommt. Schon die schwedische Vorgängerregierung lehnte transnationale Listen ab. Die jetzige Ratspräsidentschaft vergibt diese Chance auf die Stärkung der europäischen Demokratie vor der nächsten Europawahl 2024.
Daniel Freund, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Grünen, kommentiert:
“Autoritäre Systeme und Korruption mit EU-Mitteln sind aktuell die größten Bedrohungen für die Europäische Demokratie. Es ist richtig, dass die schwedische Ratspräsidentschaft hier einen Fokuspunkt setzt und explizit die Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn vorantreiben will. Hier darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die Regierungen in Warschau und Budapest müssen spüren, dass ihr autoritärer Kurs von den Mitgliedstaaten der Union nicht geduldet wird. EU-Gelder dürfen erst dann in vollem Umfang fließen, wenn Rechtsstaat und Demokratie wieder funktionieren. Es ist allerdings fraglich, ob die schwedische Regierung hier ernst macht. Die rechten Schweden-Demokraten stützen die Regierungskoalition in Stockholm mit einem Büro im Amtssitz des Ministerpräsidenten. Viktor Orban gilt mit seinem autoritären Kurs vielen in der Partei als politisches Vorbild.
Die Arbeit an zwingend nötigen EU-Reformen dürfte in den kommenden Monaten vollends zum Erliegen kommen. Weder bei einer Einberufung eines EU-Konvents, noch bei einer Europäisierung des Wahlrechts will die schwedische Regierung Schritte unternehmen. Hier wird wertvolle Zeit verloren gehen.”
Die Prioritäten der Schwedischen Ratspräsidentschaft im Überblick (auf Englisch):
https://swedish-presidency.consilium.europa.eu/en/programme/priorities/