Rechtsgutachten: EU-Kommission muss alle Zahlungen an Ungarn einfrieren
Im Rahmen des Rechtsstaatsmechanismus muss die EU-Kommission 100 Prozent aller Zahlungen an Ungarn einfrieren. Diese Maßnahme ist angesichts der Rechtsstaatsverstöße in Ungarn angemessen und deckt sich mit der in mehreren EU Regelwerken verankerten Praxis zur Suspendierung von EU-Zahlungen. Das sind die Haupterkenntnisse eines unabhängigen Rechtsgutachtens der RechtswissenschaftlerInnen Prof. Kim Scheppele (Universität Princeton), Prof. Daniel Kelemen (Universität Rutgers), und Prof. John Morijn (Universität Groningen), das von Daniel Freund in Auftrag gegeben und heute im Europaparlament in Straßburg vorgestellt wurde.
Die Haupterkenntnisse im Detail:
Alle EU-Zahlungen von Korruption betroffen: Die Rechtsstaatsverstöße in Ungarn sind so gravierend, dass kein einziger Euro sicher ist im System Orban. Alle von der EU finanzierten Programme sind von den Rechtsstaatsverstößen betroffen, in keinem Ausgabenbereich herrscht Rechtssicherheit und die Kontrollmechanismen im Land sind nicht ausreichend unabhängig.
100-Prozent-Suspendierungen bereits gängige Praxis in der EU-Gesetzgebung: Angesichts der gravierenden Rechtsstaatsverstöße in Ungarn stünde eine 100% Suspendierung in Einklang mit der bisher in EU Recht verankerten Praxis. EU Regelwerke, die bereits vor der Einführung der Konditionalitätsverordnung unumstritten bestanden, sehen im Falle von außerordentlich grundlegenden Problemen bei der Verwendung von EU-Geldern eine 100%ige Aussetzung, Kürzung oder Unterbrechung der Zahlungen als verhältnismäßig und damit angemessen vor.
Daniel Freund, Berichterstatter der Grünen/EFA für den Rechtsstaatsmechanismus im Haushaltskontrollausschuss, kommentiert:
“Wir werden die Rechtsstaatskrise in der EU nicht mit Sonntagsreden beheben. Viktor Orban hat in den vergangenen 12 Jahren den Rechtsstaat systematisch zerstört. Alle EU-Fördertöpfe sind von Korruption betroffen und tragen so zum Demokratie-Abbau des Systems Orban bei. Eine komplette Einstellung der Zahlungen an Ungarn ist folgerichtig. Die EU-Kommission hat hier keinen Spielraum: Entweder sie erkennt die Realitäten in Ungarn an und handelt entsprechend der bestehenden Rechtslage. Oder sie schlägt Sanktionen vor, die dem Problem nicht gerecht werden, das Verfahren verschleppen und den bestehenden Richtlinien zur Suspendierung von Geldern widersprechen. Das Signal an Demokratiefeinde und Rechtsstaatsbrecher in der EU wäre fatal: ‘Für Vergehen gegen die Grundsätze der EU gibt es keine Konsequenzen.’ Die Kommission muss aufgrund der Rechtslage 100% der EU Gelder an Ungarn einfrieren.”
Die komplette Studie finden Sie unter folgendem Link (auf Englisch): https://danielfreund.eu/wp-content/uploads/2022/07/100-suspension-Hungary.pdf
Wie es weiter geht:
Nachdem der Rechtsstaatsmechanismus am 27. April ausgelöst wurde, hat die ungarische Regierung am 27. Juni auf die Vorwürfe reagiert. Nun muss die EU-Kommission bis Mitte August ein “Strafmaß” vorschlagen, welches die Rechtsstaatsverstöße in Ungarn adressiert. Anschließend hat die ungarische Regierung nochmal einen Monat Zeit, um auf den Vorschlag zu reagieren. Schließlich muss der Kommissionsvorschlag über die Höhe der einzufrierenden Gelder noch innerhalb von höchstens drei Monaten durch eine qualifizierte Mehrheit im Rat bestätigt werden.