Daniel Freund

18. Juli 2024 Demokratie

Warum ich für Ursula von der Leyen gestimmt habe

Ursula von der Leyen bleibt für weitere fünf Jahre EU-Kommissionspräsidentin. Im Europaparlament erhielt sie heute eine Mehrheit von 401 Stimmen – 40 mehr als benötigt. Sie hat heute auch meine Stimme bekommen. Dabei hätte es eigentlich viele Gründe gegeben, die gegen eine Unterstützung gesprochen hätten: Es hat in den vergangenen Wochen keinen Koalitionsprozess gegeben. Es gibt kein gemeinsames inhaltliches Programm der vier großen pro-europäischen Fraktionen, sondern lediglich politische Leitlinien, für die wir konsultiert wurden. Für eine echte Mehrheitskoalition ist das zu wenig.

Gute Gründe gegen von der Leyen

Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren Differenzen mit von der Leyen – insbesondere wenn es um die Verteidigung des Rechtsstaats ging. Hier war die Kommissionspräsidentin gegenüber Viktor Orban – aber auch gegenüber der damaligen PiS-Regierung in Polen zu nachlässig, zu soft, zu zurückhaltend. Ich hatte enorme Zweifel, ob sie wirklich die richtige für diesen Job ist. Auch deswegen habe ich im Europaparlament eine Mehrheit organisiert, um sie wegen Untätigkeit zu verklagen. Auch ihr Verhalten gegenüber dem Europaparlament war in meinen Augen häufig respektlos.

Green Deal und klare Kante gegen Orban

Und dennoch bekommt sie heute meine Stimme, auch weil sie in ihrer Rede und in ihrem Programm die richtigen Worte gefunden hat. Sie hat sich klar und deutlich gegen das destruktive Auftreten von Viktor Orban gestellt – zuletzt sogar angekündigt, dessen Ratspräsidentschaft zu boykottieren. Sie hat deutlich gemacht, dass sie alle Instrumente zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaat einsetzen will. Und sie hat ein deutliches Bekenntnis zum Green Deal abgegeben. Entgegen unserer Befürchtungen wird der europäische Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht aufgeweicht, sondern nachgeschärft. Auch das ist ein Erfolg, den wir Grüne in den vergangenen Tagen erringen konnten.

Wir übernehmen Verantwortung

Was in diesen Tagen deutlich wird ist, dass wir Grüne erstmals überhaupt Bestandteil der Regierungsmehrheit in Brüssel werden. Trotz eines Rechtsrucks bei der Europawahl bekommen rechte Parteien nicht mehr Einfluss – sondern wir Grüne. Das ist eine enorme Chance, die wir heute mit einem Nein zu von der Leyen vergeben hätten. In meinen Augen wäre dies verantwortungslos. Denn die Wahl der Kommissionspräsidentin findet nicht in einem global-politischem Vakuum statt. Wäre von der Leyen heute durchgefallen, wäre es ein Geschenk für Orban und Putin.

Ich bleibe weiter unbequem

Die demokratische Kontrolle der EU-Kommission hört mit dem Votum für von der Leyen heute nicht auf. In den kommenden Wochen werden EU-Kommissar*innen nominiert, angehört und gewählt. Ein Arbeitsprogramm wird verabschiedet. Das Europaparlament bleibt ein entscheidender Player. Und ich kann Euch versprechen, dass ich weiter eine kritische Stimme bleiben werde. Dass von der Leyen weiter damit rechnen muss, dass es unbequem wird für sie, wenn sie den Rechtsstaat nicht schützt. Dass ich von dieser Kommission einfordern werde, dass sie Korruption bekämpft. Und saubere Politik durchsetzt.

Entgegen unserer Befürchtungen wird der europäische Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht aufgeweicht, sondern nachgeschärft.

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