Daniel Freund

12. Juli 2022 Antikorruption

Masken-Deals: Nüßlein und Sauter dürfen Millionen behalten - Änderung des Strafrechts nötig!

Liebe Europäer*innen,

Die Masken-Deals der CSU-Politiker Alfred Sauter und Georg Nüßlein fallen nicht unter den Straftatbestand der Bestechlichkeit bzw. Bestechung von Mandatsträgern. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute (12.07.2022) das entsprechende Urteil des Oberlandesgerichts München (vom 18.11.2021) bestätigt. Der Bundestagsabgeordnete Nüßlein hatte während der Corona-Pandemie mit Verweis auf sein Abgeordnetenmandat Maskengeschäfte für den Bund vermittelt und dafür 660.000 Euro Provisionen kassiert. Für ähnliche Geschäfte auf Landesebene erhielt der ehemalige CSU-Justizminister Sauter sogar 1,2 Millionen Euro. Beide dürften damit ihre Masken-Provisionen auch behalten. Der BGH stellte eine “Strafbarkeitslücke” fest. Es läge nun am Gesetzgeber eine solche zu erkennen und “darüber zu befinden, ob er sie bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will”.

 

Daniel Freund, Vorsitzender der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe “Anti-Korruption” im Europaparlament, kommentiert:

“Sauter und Nüßlein haben sich in einer Krise auf Kosten des Gemeinwohls bereichert und dafür ihre Mandate ausgenutzt. Es ist unerträglich, dass hier kein strafbares Handeln vorliegt. Weil die bestehenden Gesetze diese Vergehen nicht erfassen, müssen sie schleunigst angepasst werden. Die Masken-Affäre hat viel Bürger*innen-Vertrauen in demokratische Politik zerstört. Hier müssen wir gegensteuern und deutlich machen: Wer sein Mandat missbraucht, macht sich strafbar!

Das Urteil zeigt, dass die Experten-Kritik am Gesetz während seiner Entstehung berechtigt war: das Strafrecht für Abgeordnetenbestechlichkeit greift selbst bei offensichtlichen Fällen nicht, weil die Definition zu eng und die Beweishürden unrealistisch hoch liegen. Die im Koaltionsvertrag vereinbarte wirksamere Ausgestaltung des Straftatbestands muss jetzt schnell umgesetzt werden. Deutschland hat sich in zwei internationalen Abkommen dazu verpflichtet missbräuchliche Einflussnahme zu verbieten – das muss jetzt endlich auch passieren.”

 

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Warum die Richter*innen keine Bestechlichkeit erkannten

Nüßlein und Sauter standen im Verdacht der Bestechlichkeit. Diesen hat das Oberlandesgericht entkräftet, weil der entsprechende Paragraph im Strafgesetzbuch (§108e) keinen Gesetzesverstoß sieht, wenn ein Abgeordneter sein Mandat und seine Kontakte nutzt “um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, z.B. Behörden und Ministerien, zu beeinflussen.“ Kurz gesagt: Bestechlichkeit liegt nur dann vor, wenn sie sich auf das Abstimmverhalten der Abgeordneten auswirkt. “…dass sich der Mandatsträger bei außerparlamentarischen Betätigungen auf seinen Status beruft, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, erfüllt dieses Merkmal nicht” bestätigte heute der BGH.

 

Pressemitteilung des BGH von heute: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2022107.html

Die Tatbestände des § 108e Abs. 1 und 2 StGB setzen unter anderem eine (erstrebte bzw. getroffene) Unrechtsvereinbarung zwischen dem Bestechenden und dem bestochenen Parlamentsmitglied mit dem Inhalt voraus, dass dieses „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder unterlässt. Die Beschuldigten N. und S. nahmen indes, indem sie die Gegenleistungen für die Gewinnbeteiligungen erbrachten, nicht ihr Mandat im Sinne dieses Strafgesetzes wahr; die Übereinkunft der Beteiligten war hier von vorneherein nicht auf ein derartiges Verhalten gerichtet.

Das Merkmal der Wahrnehmung des Mandats ist dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen, erfasst ist. Allein die Vereinbarung zwischen den Beteiligten, dass sich der Mandatsträger bei außerparlamentarischen Betätigungen auf seinen Status beruft, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, erfüllt dieses Merkmal nicht. Ebenso wenig genügt es, wenn das Parlamentsmitglied dazu die in dieser Funktion geknüpften Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Exekutive ausnutzen oder sich seiner Amtsausstattung bedienen soll.

Dieses Verständnis des Strafgesetzes ist – wie in den Beschlussgründen im Einzelnen dargelegt ist – Ergebnis der Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung, namentlich nach dem Wortlaut des § 108e StGB, dessen systematischem Kontext, dem Willen des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck dieser Strafnorm. Dabei kam der Begründung des – der maßgeblichen Fassung des Straftatbestandes zugrundeliegenden – Gesetzesentwurfs sowie der hierzu abgegebenen Stellungnahme des Ausschusses des Bundestages für Recht und Verbraucherschutz eine erhebliche Bedeutung zu. Diese Materialien sind dahin zu verstehen, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, rein außerparlamentarische Betätigungen des Mandatsträgers zu erfassen. Das Korruptionsdelikt der missbräuchlichen Einflussnahme, das in zwei von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen völkerrechtlichen Abkommen vorgesehen ist, hat er nicht in das deutsche Recht überführt.

Der 3. Strafsenat hat darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber obliegt zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es hingegen verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Im Hinblick auf den vom Wortlaut des § 108e StGB gedeckten eindeutigen gesetzgeberischen Willen, das außerparlamentarische Wirken des Mandatsträgers durch diese Norm nicht zu erfassen, kommt eine diese Intention missachtende Auslegung nicht in Betracht, selbst wenn die hier zu beurteilenden Handlungen ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das vom Gesetz pönalisierte Verhalten. Falls der Gesetzgeber eine Strafbarkeitslücke erkennen sollte, ist es seine Sache, darüber zu befinden, ob er sie bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.

 

Ampel-Koalitionsvertrag

“Wir werden den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit wirksamer ausgestalten.”

 

Grünes Wahlprogramm 2021

“Unabhängige Kontrolle stärkt die Transparenz und Integrität. Zur wirkungsvollen Bekämpfung von Korruptionsfällen braucht es eine Neufassung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung und eine Überarbeitung der Beweisanforderungen.”

Seite 176: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf 

 

Paragraph 108e im Strafgesetzbuch

108e Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern

(1) Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

 

Aus der Bründung des Oberlandesgerichts in München

„Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers macht sich dagegen ein Mandatsträger durch die Annahme von unberechtigten Vermögensvorteilen nicht strafbar, wenn er – wie vorliegend geschehen – lediglich die Autorität seines Mandats oder seine Kontakte nutzt, um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, z.B. Behörden und Ministerien, zu beeinflussen.“

https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/oberlandesgerichte/muenchen/presse/2021/31.php

Weil die bestehenden Gesetze diese Vergehen nicht erfassen, müssen sie schleunigst angepasst werden. Die im Koaltionsvertrag vereinbarte wirksamere Ausgestaltung des Straftatbestands muss jetzt schnell umgesetzt werden.