Durchbruch beim EU-Wahlrecht: Europäische Listen und Wahlrecht ab 16
Vergangene Nacht (Dienstag) haben sich Vertreter der vier größten Fraktionen im Europaparlament (EVP, S&D, Renew, Grüne/EFA) auf Eckpunkte für eine Reform der Europawahlen geeinigt. Bürgerinnen und Bürger sollen bei der kommenden Europawahl 2024 eine zweite Stimme für einen EU-weiten Wahlkreis bekommen, in dem europäische Parteien und Spitzenkandidat*innen direkt wählbar sind. Auf europaweiten Listen sollen Kandidat*innen aus wenigstens 14 Ländern antreten. 28 neue Sitze sollen so besetzt werden – zusätzlich zu den bestehenden 705, die weiterhin über nationale oder regionale Wahlkreise gewählt werden. Spitzenkandidat*innen der EU-Parteien für die wichtigsten EU-Ämter stehen so europaweit auf Wahlzetteln, müssen EU-weit Rede und Antwort stehen. Im Gegenzug bestanden vor allem die Christdemokraten auf einer Prozenthürde (de facto nur für Deutschland) von 3,5 Prozent mit Ausnahmen für Parteien, die unter gleichem Namen in wenigstens sieben Ländern antreten, z.B. Volt oder die Piraten. Geschlechtergerechtigkeit mittels Quote oder Reißverschlussverfahren soll Vorschrift werden. Das Wahlalter wird auf 16 gesenkt, wenn die Mitgliedstaaten es nicht anders regeln.
Daniel Freund, Mitglied im Verfassungsausschuss des Europaparlaments, kommentiert:
“Diese Einigung würde die kommende Wahl 2024 zu einer echten Europäischen Wahl machen. Erstmals träten Politiker*innen tatsächlich europaweit zur Wahl an und müssten ihre Programme den Wähler*innen von Lissabon bis Warschau erklären: Einheitliche europäische Wahlprogramme statt widersprüchlicher Wahlversprechen von Mitgliedern der gleichen Parteienfamilie. Ein europaweites Votum für die Besetzung der europäischen Top-Jobs wird sich auch nicht mehr im Hinterzimmer umdrehen lassen. Wer Kommissionspräsident*in wird, muss so endlich von den Bürgerinnen und Bürgern entschieden werden.”
“Europas Wähler*innen haben verdient, dass dieser europäische Durchbruch beim Wahlrecht schon zur nächsten Europawahl 2024 in Kraft tritt. Die 3,5-Prozent-Hürde ist der schmerzhafte Teil eines Kompromisspakets. Sie darf nur dann kommen, wenn diese Einigung auf transnationale Listen auch Realität wird.”
Wie es jetzt weitergeht:
Der Kompromiss wird jetzt in Rechtstext ausformuliert und zunächst im Verfassungsausschuss und dann im Plenum des Europäischen Parlaments abgestimmt. Eine Mehrheit ist durch die Einigung wahrscheinlich, aber wegen Abweichlern nicht sicher. Der Rat der Mitgliedstaaten kann den Initiativvorschlag des Parlaments verändern. Dies wird voraussichtlich in informellen Verhandlungen vorbereitet. Das Parlament kann dem Text des Rates dann zustimmen oder ablehnen. Alle Mitgliedstaaten müssen dem Wahlrecht zustimmen und es in nationales Recht umsetzen. Die Venedig-Kommission des Europarates empfiehlt das Wahlrecht nur bis ein Jahr vor der Wahl, also bis Mai 2023 zu ändern. Ein Inkrafttreten des neuen Wahlrechts bis zur Europawahl 2024 ist möglich aber braucht jetzt die Mitarbeit der Mitgliedstaaten.
Diese Einigung würde die kommende Wahl 2024 zu einer echten Europäischen Wahl machen.