Darum eine Ethik-Behörde: 99% aller Drehtüren von EU-Beamten zur Lobby kaum reguliert
Die NGO Corporate Europe Observatory hat gestern einen explosiven Bericht veröffentlicht. Die Kernaussage: Regeln für den Wechsel aus EU-Top-Jobs in private Lobbyisten-Jobs werden fast überhaupt nicht umgesetzt (In Brüssel spricht man vom Drehtür-Effekt). Die Regeln sollen eigentlich den Ausverkauf von Insider-Wissen der EU-Institutionen an finanzstarke Interessen und Länder wie China und Russland verhindern. Aber 2019 hat die EU-Kommission von 363 Anfragen von ex-EU-Beamten für eine Genehmigung eines Anschlussjobs nur 3 abgelehnt. Für Jobs während einer unbezahlten Pause von der Arbeit in der EU-Kommission gabe es 594 Anfragen und nur 3 Ablehnungen. Einige Anschlussjobs und Zwischenjobs werden unter Bedingungen genehmigt, Beispiele belegen aber, dass diese meist wirkungslos bleiben.
Die Drehtüren von Reinald Krueger und Aura Salla
Reinald Krueger regulierte innerhalb der EU-Kommission Telekommunikationsmärkte, nahm aber 2018 eine Auszeit und begann als Lobbyist für Vodafone zu arbeiten. Die EU-Kommission genehmigte das unter der Auflage, dass er seine bisherigen Kollegen nicht lobbyieren darf, auch nicht auf selbst organisierten Veranstaltungen. Dennoch trifft er im April 2019 und zwei weiteren Veranstaltungen auf ex-Kollegen und diskutiert dort über Vodafone-Interessen. Nachfragen von NGOs beantwortet die EU-Kommission mit unbrauchbar geschwärzten Dokumenten, was die EU-Ombudsfrau O’Reilly in ihrem Abschlussbericht Juli 2019 als eindeutiges Fehlverhalten der Verwaltung verurteilt. Krueger hat weiterhin ein Rückkehrrecht in die EU-Kommission, sollte er seinen Zwischenjob für Vodafone aufgeben.
Aura Salla arbeitete im Team des Vizepräsidenten der EU-Kommission Jyrki Katainen, zuständig für Wirtschaft, dann in einer internen Denkfabrik der Kommission zuständig für Cyber Security, hybride Gefahren, Desinformation, Einmischung in Wahlen, EU-Verteidigung und Russland. Im Mai 2020 wechselte sie zu Facebook, drei Monate nachdem sie die EU-Kommission verlassen hatte. Auch sie soll 1 Jahr lang nicht ehemalige Kollegen lobbyieren und keine geheimen Kommissions-Informationen an Facebook weitergeben. Die EU-Ombudsfrau bestätigte Befürchtungen in ähnlichen Fällen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass solche ehemaligen Mitarbeiter*innen sehr wohl ihren neuen Kollegen sagen werden wen sie mit welchen Argumenten wann in den EU-Institutionen lobbyieren sollten. Die EU-Regeln sehen auch vor, dass die Kommission einen Anschlussjob bis zu 1 Jahr verbieten kann, wenn der neue Arbeitgeber entgegengesetzte Interessen zum öffentlichen Interesse der EU hat. Montagmorgen wird die aktuellste Facebook-Whistleblowerin Sophie Zhang im neuen Spezialausschuss des Europaparlaments zu Wahlbeeinflussung und Desinformation berichten wie Facebook systematisch EU-Regeln unterläuft und bricht. Trotz des offensichtlichen Interessengegensatzes machte die EU-Kommission aber vom Verbot keinen Gebraucht. Stattdessen gratulierten hochrangige EU-Beamte schon vor der formalen Genehmigung des Anschlussjobs zur neuen Rolle.
Die Regeln sind schwach, kaum angewandt, kaum überprüfbar
Die über 99% Genehmigungen und die Beispiele Krueger und Salla zeigen wie zahnlos die EU-Kommission die Regeln bei Drehtüren umsetzt. Die Regeln selbst sind schwach, auch im internationalen Vergleich. Während die EU-Kommission bei Interessenkonflikten nur für ein Jahr Anschlussjobs untersagen kann, dürfen ex-Beamte in Kanada nie wieder zu genau den gleichen Projekten für nicht-öffentliche Interessen arbeiten. Die EU Regeln werden kaum angewandt, Anschlussjobs fast nie untersagt, Bedingungen nur zögerlich eingesetzt. Schließlich: die Regeln sind kaum überprüfbar, weil die meisten Kommissionsmitarbeiter über Kontaktsperren nicht informiert sind, die Einhaltung der Regeln Firmen überlassen werden, die an ihrer Verletzung größtes Interesse haben. Auch die Regelanwendung durch die EU-Kommission ist durch einen großen Interessenkonflikt belastet: Kollegen sollen enge ex-Kollegen regulieren, bevor sie selbst vielleicht bald in der gleichen Lage sind.
Eine unabhängige Ethik-Behörde verhindert Interessenkonflikte
Gegen den Interessenkonflikt bei der Umsetzung von Drehtür-Regeln fordern Grüne und NGOs seit langem eine unabhängige Ethik-Behörde, die Regeln glaubwürdig umsetzen kann. Unabhängige Behörden mit professionellem Personal in Frankreich und Kanada zeigen, dass dies möglich ist. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat eine solche unabhängige Ethik-Behörde vor ihrer Wahl versprochen und anschließend Vizepräsidentin Vera Jourova mit ihrer Einrichtung beauftragt. Ich bin vom Europaparlament inzwischen als Berichterstatter beauftragt, für eine Ethik-Behörde ein Konzept vorzuschlagen. Als nächstes müssen wir eine Mehrheit des Europaparlaments überzeugen, dass wir gegen unregulierte Drehtüren aus den EU-Institutionen, eine unabhängige und starke Ethik-Behörde brauchen.
HINTERGRUND
Netzpolitik zum Fall Reinald Krueger: https://netzpolitik.org/2020/hinter-der-milchglasscheibe-sitzt-ein-lobbyist/
Studie von CEO zum Fall Aura Salla und mit der Zahl 99% genehmigte Anschlussjobs: https://corporateeurope.org/en/2020/10/facebook-friends-lobby-consultants
Kommission antwortet Netzpolitik-Journalist zu Drehtür-Regeln: https://twitter.com/FantaAlexx/status/1319243540694769664
Salla verkündet Wechsel vor ihrer Genehmigung: https://peterteffer.com/2020/05/07/eu-investigates-new-facebook-lobby-job/
Jobauftrag von von der Leyen an Jourova zur EU Ethik-Behörde (Seite 5 von 6):
“I want you to work together with the European Parliament and the Council on an independent ethics body common to all EU institutions.”
https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/mission-letter-vera-jourova-2019_en.pdf