Bundestagsanhörung zum Lobbyregister: zu viele Ausnahmen, Legislativer Fußabdruck fehlt
Donnerstagnachmittag 1 Oktober 2020 hat der Bundestagsausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Experten zu Vorschlägen für ein deutsches Transparenzregister angehört. Die Mehrheit der Experten forderte weniger Ausnahmen, einen Legislativen Fußabdruck
Gesetzentwurf hat zu viele Ausnahmen
Der Mehrheit der Experten geht der Gesetzentwurf von CDU, CSU und SPD nicht weit genug. Alle beteiligten Interessenvertreter fordern eine Ausweitung auf die Bundesregierung. Auch weil dort fast alle Gesetzesentwürfe entstehen, Lobbyisten dort deshalb am häufigsten Einfluss nehmen. Einen solchen Änderungsantrag hatte die Koalition angekündigt, aber immer noch nicht vorgelegt. Die EU-Kommission, die in Brüssel alle EU-Gesetze vorschlägt, trägt das EU-Transparenzregister gemeinsam mit dem Europaparlament und setzt Lobbyisten starke Anreize, sich zu registrieren.
5 von 8 Experten kritisierten vor allem die generelle Ausnahme für Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Kirchen. Die Kirchen sind einer der größten Arbeitgeber mit Krankenhäusern, Kindergärten, karitativen Einrichtungen und vielem mehr. Das Grundgesetz schützt die Koalitionsfreiheit der Tarifparteien und der Religionsfreiheit. Die Expert*innen fordern: dieser Schutz muss aber abgewogen werden mit dem Demokratieprinzip und der dafür nötigen Transparenz der Gesetzgebung. Kurz erwähnt wurde das Vorbild des EU-Transparenzregister, in dem Gewerkschaften, Arbeitgeber und Kirchen schon lange registriert sind. Der europäische Gewerkschaftsbund ETUC und der Unternehmensverband BusinessEurope sind im EU-Register und haben jeweils die deutschen Gewerkschaften und den Arbeitgeberverband als Mitglieder. Kirchen bilden eine eigene Kategorie. Die Organisation mit den höchsten Lobbyausgaben, COMECE vertritt ausdrücklich Organisationen, die Kirchen und religiöse Gemeinschaften vertreten, nicht die Kirchen selbst. Trotz der Einschränkung werden so die 1.305.989 EUR Lobbyausgaben, die Ziele und Namen der Kirchenvertreter transparent. Regeln können angepasst werden, solange die Transparenz des Lobbying, des Personals, der Finanzen und Ziele erreicht werden kann.
Legislativer Fußabdruck
5 der 8 Experten forderten die Ergänzung des Gesetzentwurfs um einen Legislativen Fußabdruck, in der Anhörung oder als Teil der Allianz für Lobbytransparenz. Ohne eine Veröffentlichungspflicht von Treffen der Entscheidungsträger*innen mit Lobbyisten macht ein Transparenzregister für Skandale, wie den Fall Amthor keinen Unterschied. Wenn die Gesetzgeber Interessenvertretern sehr ungleich Aufmerksamkeit zukommen lassen, wird dies nur bei Veröffentlichung aller Treffen transparent. Das Europaparlament hat als Konsequenz aus dem Ungleichgewicht von Banken und Verbraucherschützer*innen im Wirtschafts- und Finanzausschuss schon die Konsequenz gezogen in eigene Verbraucherschutzexpert*innen zu investieren. Solcher Ausgleich erfordert Transparenz von Treffen. Die Minderheit der Experten sieht einen Konflikt mit der Freiheit des Mandats der Abgeordneten. Diese Diskussion wurde auch im Europaparlament geführt und auch auf Grundlage einer Studie des juristischen Dienstes des Europaparlaments entschieden. Auch die Parlamentsjuristen sehen mögliche Auswirkungen von Transparenzregeln auf die Freiheit der Abgeordneten jede*n zu treffen, die sie wollen. Die Juristen wägen die Mandatsfreiheit ab gegenüber dem Transparenzprinzip in den EU-Verträgen und bewerten unterschiedliche Regelungsoptionen: Verbot von Treffen mit unregistrierten Lobbyisten einerseits, Veröffentlichungspflicht von Treffen andererseits. Fazit: Der Rechtsdienst des Europaparlaments sieht die Veröffentlichungspflicht von Treffen der an EU-Gesetzen mitschreibenden Abgeordneten mit Lobbyisten als vereinbar mit dem Freien Mandat der Abgeordneten. Ein Jahr nach Einführung der Regel haben 44 Prozent der Europaabgeordneten über 10.000 Treffen veröffentlicht.
Eine Veröffentlichungspflicht der Bundesregierung findet keiner der angehörten Experten prinzipiell problematisch. Diskutiert wurde, ob das Parlament der Regierung die Transparenz vorschreiben darf, oder ob die Regierung sie formal selbst beschließen muss. Die EU-Kommission hatte schon 2014 beschlossen, dass Kommissar*innen, ihre wichtigsten Mitarbeiter*innen und Generaldirektor*innen nur registrierte Lobbyisten treffen und diese Treffen veröffentlichen. Die Entscheidung der Kommission folgte langjährigen Forderungen von Grünen und Zivilgesellschaft und einer konkreten Frage in der Anhörung von Jean-Claude Juncker vor der Grünen Europafraktion in 2014.
Ermahnung aus Brüssel zu mehr Lobbytransparenz
Am Mittwoch kritisierte die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatsbericht Deutschland für ein fehlendes Lobbyregister. Weil so viele Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen Lobbying bereits besser regulieren, fällt das Fehlen verbindlicher Regeln in Deutschland besonders negativ auf. Die Kritik ist Teil eines umfassenden Berichts zu Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit, Korruption und Kontrollinstitutionen in allen EU-Ländern. Weil die Kommission den Entwurf des Berichts schon seit Monaten mit den Mitgliedstaaten diskutiert, könnte die intern schon vorab bekannte Kritik in Berlin mit den Anstoß zum Umdenken in Berlin gegeben haben. Die Kommission kritisiert ausdrücklich das Fehlen von Regeln für Bundestag und Bundesregierung: “As regards lobbying, the mandatory registration of contacts with both members of the Federal Parliament and members of the Federal Government is missing, although reforms in this area are being considered.”
Die wichtigsten lessons learned aus Brüssel für Berlin
Die wichtigsten Lehren aus der Brüsseler Erfahrung für die weitere Arbeit am Gesetzentwurf für ein deutsches Lobbyregister sind deshalb:
- Die Bundesregierung muss genauso transparent sein wie die EU-Kommission und ihre Lobbytreffen zu jedem Gesetzentwurf veröffentlichen.
- Mit leicht angepassten Regeln ist es kein Problem das Lobbying von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Kirchen transparent zu machen.
- Abgeordnete zur Veröffentlichung von Lobbytreffen zu verpflichten ist mit dem Freien Mandat von Abgeordneten vereinbar.
HINTERGRUND
Gewerkschaften im Register: https://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/displaylobbyist.do?id=06698681039-26
Unternehmensverband im Register: https://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/displaylobbyist.do?id=3978240953-79
Kirchen im Register: https://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/reportControllerPager.do?action=search&categories=44&
Beispiel Secretariat of COMECE (Commission of the Episcopates of the European Union)
https://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/displaylobbyist.do?id=47350036909-69
Transparency International-Übersicht von Lobbytreffen der Europaabgeordneten: https://transparency.eu/european-parliament-10000-meetings/
Kommissionsbericht vom 30.09.2020 zu Rechtsstaatlichkeit und Kontrollinstitutionen: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/de_rol_country_chapter.pdf