Daniel Freund

28. September 2020 Antikorruption

Bundesregierung verrät europäische Grundrechte: Ratspräsidentschaft verwässert Gesetz zum Schutz von Demokratie und Rechtsstaat

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat heute einen Entwurf für den Rechtsstaatsmechanismus vorgestellt, der Basis für den neuen EU-Haushalt und dem Wiederaufbaufonds sein soll. Dr. Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, und Daniel Freund, Mitglied des Europaparlaments und Verhandlungsführer im Haushaltskontrollausschuss für die Grüne Fraktion, kommentieren:

“Die Bundesregierung schwingt große Reden zur Rechtsstaatlichkeit und zu den europäischen Grundwerten. Doch diese europäische Werte hat sie nun verraten. Der vorliegende Entwurf zum Rechtsstaatsmechanismus ist noch schwächer als der ohnehin windelweiche Kompromiss beim letzten EU-Gipfel. Jetzt braucht es nicht nur eine qualifizierte Mehrheit für Sanktionen, sondern das Kriterium „Unabhängigkeit der Justiz“ wurde ganz gestrichen. Damit verkommt dieser Mechanismus endgültig zum bloßen Lippenbekenntnis, das keinerlei Wirkung hat. Die Bundesregierung muss sich jetzt auf die Forderungen des Europäischen Parlaments einlassen und hier die notwendigen Brücken zur Rechtsstaatlichkeit bauen. Damit schützt Merkel weiterhin den Demokratiezerstörer Orban, der immer noch Teil ihrer europäischen Parteienfamilie ist, vor Konsequenzen und opfert für ihn die europäische Werte.“

“Mit diesem Vorschlag fährt die deutsche Ratspräsidentschaft den Rechtsstaatsmechanismus vollends gegen die Wand. Der Teufel liegt hier im Detail: Mit dem aktuellen Abstimmverfahren würden die Mitgliedstaaten entscheiden, wer sanktioniert wird. Der Schutz des Europäischen Rechtsstaats wird somit ein politischer Prozess mit einer Hürde die in keinem anderen  Bereich bisher überwunden wurde. Der Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung  der EU Verträge muss bei Kommission und Gerichtshof liegen, nicht bei den Regierungen, die ja selbst betroffen sind. Konkret heißt das: Dieser Mechanismus wird in der Realität niemals ausgelöst werden. Und es ist nach deutschem Vorschlag jetzt auch kein Rechtsstaatsmechanismus mehr. Man war ja sogar so dreist, das Wort Rechtsstaat aus dem jetzt vorliegenden Vorschlag zu streichen. Denn nur wenn auch direkt eine Gefahr für EU Gelder besteht soll theoretisch sanktioniert werden können. Die Abschaffung einer unabhängigen Justiz alleine wäre dann also kein Problem für die EU, sondern erst dann wenn daraus auch konkret nachweisbare Kosten für die EU entstehen.”

„Es bleibt unbegreiflich, warum die deutsche Ratspräsidentschaft hier weiter voll auf Konfrontationskurs mit dem Europäischen Parlament geht. Man geht lieber immer weiter auf Orban zu anstatt mit der breiten Mehrheit im Europäischen Parlament für den Schutz von Demokratie, Rechtsstaat, Medienfreiheit und gegen Korruption zu kämpfen. Die Bundesregierung muss nun bei den Verhandlungen zum EU-Gipfel zu einem schärferen Rechtsmechanismus kommen. Es ist die letzte Chance zu zeigen, dass sie sich wirklich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU einsetzt, wenn es darauf ankommt.“

 

HINTERGRUND

Die Europäische Union verfügt über kein Instrument, um wirksam den Missbrauch von EU-Geldern zu verhindern. Ziel war es, mit einem Rechtsstaatmechanismus Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten zu sanktionieren. Die Situation in Polen und Ungarn, aber auch die Proteste in Bulgarien zeigen sehr deutlich, dass die EU hier endlich reagieren muss. Sonst drohen noch mehr Mitgliedstaaten abzurutschen.

Das Europäische Parlament hat bereits 2019 ein gutes Gesetz beschlossen – die Mitgliedsstaaten haben seit dem jedoch jede Auseinandersetzung hierzu gescheut. Stattdessen wurde auf dem EU-Gipfel im Juli ein Vorschlag präsentiert, der für den Schutz des Rechtsstaates in Europa unbrauchbar ist. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat nun das Kunststück vollbracht, diesen Vorschlag noch mal zu verschlechtern.

Die Bundesregierung schwingt große Reden zur Rechtsstaatlichkeit und zu den europäischen Grundwerten. Doch diese europäische Werte hat sie nun verraten. Der vorliegende Entwurf zum Rechtsstaatsmechanismus ist noch schwächer als der ohnehin windelweiche Kompromiss beim letzten EU-Gipfel.