Fehlende Europapolitik in den Talkshows zur Europawahl - Unser Brief an ARD und ZDF
Nur ein (!) Europaabgeordneter unter 43 Gästen in deutschen Polit-Talkshows in der Woche nach der Europawahl. Diese traurige Bilanz haben ich zum Anlass genommen, um mit weiteren führenden EU-Politiker*innen eine Brief an ARD und ZDF zu verfassen. Unser Appell: Bitte endlich mehr Europapolitiker*innen zu Wort kommen lassen!
Nachfolgend dokumentiere ich den Brief, sowie die Antworten von ARD und ZDF.
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An
Dr. Kai Gniffke, Vorsitzender der ARD
Dr. Norbert Himmler, Intendant des ZDF
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Dr. Nadine Bilke, Programmdirektorin ZDF
Christine Strobl, Programmdirektorin ARD
–
Mitglieder des Programmbeirat der ARD
Programmausschuss “Chefredaktion” im ZDF-Fernsehrat
Brüssel, 21.07.2024
Fehlende Europapolitik in den Talkshows zur Europawahl
Sehr geehrte Damen und Herren,
Hinter uns liegt eine wegweisende Europawahl, die in Deutschland ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit bekommen hat. Mit 64,8 Prozent gab es die höchste Wahlbeteiligung in über 40 Jahren. Und auch bei der Wahlentscheidung standen für viele Wählerinnen und Wähler europäische Themen im Vordergrund: Bedrohungen der europäischen Sicherheit, Herausforderungen für die europäische Wirtschaft, Klimaschutz und die Verteidigung europäischer Werte.
Die Europawahlen – die Auseinandersetzungen in Brüssel, die politische Lage in den EU-Mitgliedstaaten, die mithin als Postengeschacher verschrienen Machtkämpfe – haben in ihrem Programm in den vergangenen Monaten Sendezeit bekommen, wurden aber häufig aus Sicht der Bundespolitik betrachtet.
Positiv hervorheben möchten wir die Berichterstattung Ihrer Korrespondenten-Teams in Brüssel, die Europapolitik kritisch und mit hoher Expertise aufbereitet und berichtet haben. Es gibt jedoch einen Programmbereich, in dem europäische Politik viel zu häufig nur verzerrt wiedergegeben wird. Und in dem die Menschen, die Europapolitik machen, nahezu überhaupt kein Gehör finden: Politische Talkshows.
Hier möchten wir folgende Beobachtung mit Ihnen teilen: In der Woche nach dem Wahlsonntag am 9. Juni hat das Wahlergebnis enorme politische Aufmerksamkeit erhalten. Analysen wurden angefertigt, Wahlgewinner und Verlierer deklariert, Prognosen aufgestellt und erste politische Richtungsentscheidungen getroffen. In dieser Hochzeit des demokratischen Politikdiskurses gab es in ihrem Programm acht (!) Polit-Talkshows (Caren Miosga, Hart aber Fair, Maischberger, Maybrit Illner, Markus Lanz). Eingeladen waren insgesamt 43 Gäste. Davon waren bei der Europawahl angetreten/gewählt: 1 (Manfred Weber, am 12.06. bei Markus Lanz).
Das ist erschreckend, unzureichend und wird ihrem Programmauftrag unserer Ansicht nach nicht gerecht. Politische Talkshows sind einer der zentralen Orte der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und es ist äußerst bedauerlich, dass Europapolitikerinnen und
Politikern der Zugang zu dieser Arena geradezu systematisch verwehrt bleibt. Europapolitik hat enorme Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen. Und sie ist zu spannend, als dass sie permanent von der bundespolitischen Seitenlinie kommentiert werden muss. Und sie ist zu wichtig, als dass man den deutschen “Talkshow-Mercedes” Caren Miosga schon in der Woche nach der Wahl in die Sommerpause schickt.
Politik wird von Politikerinnen und Politikern gemacht. Nicht nur alle fünf Jahre, sondern jeden Tag. In Europa sind das 96 Abgeordnete aus Deutschland und eine EU-Kommissionspräsidentin. In deutschen Polit-Talkshows sitzen sie viel zu selten. Wir möchten daher eindringlich an Sie appellieren, EU-Politikerinnen und Politiker deutlich häufiger in Ihren Talkshows zum Bestandteil der Diskussion und der Debatte zu machen.
Freundliche Grüße aus Brüssel,
Daniel Freund, Mitglied des Europaparlaments, Grüne
Daniel Caspary, Mitglied des Europaparlaments, CDU
Dr. René Repasi, Mitglied des Europaparlaments, SPD
Erik Marquardt, Mitglied des Europaparlaments, Grüne
Moritz Körner, Mitglied des Europaparlaments, FDP
Dr. Angelika Niebler, Mitglied des Europaparlaments, CSU