Daniel Freund

26. November 2019 Demokratie

Wahl der neuen EU-Kommission: Warum ich mit ‘Enthaltung’ stimmen werde

Die Anhörungen der designierten Kommissare im Europaparlament. Foto: Europaparlament

Am Mittwoch wird das Europaparlament über die neue EU-Kommission abstimmen. Am 1. Dezember soll die Kommission ‘von der Leyen’ dann ihre Arbeit aufnehmen. Ich kann dieser Kommission nicht meine Stimme geben, möchte sie aber auch nicht ablehnen. Eine Enthaltung ist für mich der logische Schluss, da sie die Möglichkeit zu einer konstruktiven Zusammenarbeit eröffnet, ohne Grüne Stimmen zu verschenken.

Was spricht gegen die neue EU-Kommission?

Dieser Punkt wog für mich ohne Zweifel am schwersten: Mit 74 Abgeordneten sind wir Grüne die viertstärkste Fraktion im Europaparlament. Wir wollten nach der Europawahl eine Koalition mit den vier großen pro-europäischen Fraktionen eingehen. Am Ende wurden wir aber aus den Verhandlungen gedrängt. Ursula von der Leyen hat uns sehr klar kommuniziert: Sie braucht unsere Stimmen nicht und will keine schriftliche Vereinbarung. Auch während der Kommissarsanhörungen hat es hier kein Zukommen auf uns gegeben. Konservative (EVP), Sozialdemokraten (S&D), und Liberale (Renew) waren bei Zuschnitt und Vergabe der Ressorts nicht kompromissbereit. Trotz zahlreicher Versuche von uns, gab es kein Bestreben, unsere Fraktion mit an Bord zu holen. Grüne Stimmen gibt es aber nicht umsonst.

Mit Oliver Varhelyi soll ein politischer Wegbegleiter des ungarischen Premierministers Viktor Orban der zuständige Kommissar für die Europäische Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik werden. Orban hat sich in den vergangenen Jahren reichlich bemüht, Ungarn in einen Mafia-Staat umzubauen. Der Rechtsstaat wurde nach Kräften ausgehebelt. Die EU hat deshalb ein Artikel-7-Verfahren eröffnet. Varhelyi ist Vertrauter eines Präsidenten, der Rechtsstaatlichkeit und Europäische Werte mit Füßen tritt. Dass nun ausgerechnet er die Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien in den Beitrittsländern überwachen soll, ist unverantwortlich.

Was spricht für sie?

Ihr erstes politisches Versprechen hat Ursula von der Leyen fast eingehalten. Die neue Kommissionspräsidentin hatte eine paritätisch besetzte Kommission angekündigt. Nun werden künftig zwölf Frauen an der Spitze der EU-Kommission arbeiten und 15 Männer. Ihr Ziel hat von der Leyen vor allem wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft in den Mitgliedsstaaten verpasst. Auch politisch zeigt sich von der Leyen ambitioniert. In der Klimapolitik macht sie einen Schritt in unsere Richtung (Green New Deal) und auch die Frage, wie sich die EU bürgernäher und demokratischer gestalten lässt, setzt sie in ihrer Agenda weit nach oben (Konferenz zur Zukunft der EU, eigene Kommissarin für Transparenz & Demokratie). 

Im Zuge der Nominierung der neuen EU-Kommission wurden drei Kandidat*innen vom Europaparlament abgelehnt. Bei Rovana Plumb (Rumänien), Laszlo Trocsanyi (Ungarn) und Sylvie Goulard (Frankreich) sahen die Abgeordneten erhebliche Interessenkonflikte und Ethikverstöße. Dass diese Drei am Ende nicht in den Europäischen Top-Jobs landen werden, ist auch der Verdienst von Aktivisten und Journalisten in Europa, die mich und mein Team im Nominierungsprozess auf die Verfehlungen der Kandidat*innen hingewiesen hatten. Zudem hat Ursula von der Leyen den Aufbau einer unabhängigen Ethik-Behörde versprochen. Das Signal: Die künftige Kommission will Ethik-Verstöße künftig stärker sanktionieren.

Ein „Nein“ des Parlaments würde bedeuten, die Personalsuche geht komplett von vorne los. Das wäre jetzt, 6 Monate nach der Europawahl, das falsche Zeichen und würde viel Vertrauen in die EU zerstören. Ich möchte konstruktiv mit der Kommission zusammenarbeiten, vor allem, wenn es um die Konferenz zur Zukunft der EU und den Aufbau einer unabhängigen Ethikbehörde geht.

Deswegen werde ich mich bei der Abstimmung zur Kommission enthalten.

Hintergrund – Meine Fragen an die designierten Kommissare in den Anhörungen:

Dubravka Suica, designierte Kommissarin für Demokratie und Demografie: https://www.youtube.com/watch?v=nQRBvgvuuno&t=18s

Maros Sefcovic, designierter Kommissar für Interinstitutionelle Beziehungen: https://www.youtube.com/watch?v=Qvpn-kadB-s

Vera Jourova, designierte Kommissarin für Werte und Transparenz: https://www.youtube.com/watch?v=BmqGn5T125k