Daniel Freund

4. Juli 2019 Demokratie

Hinterzimmer-Deal schwächt Europas Parlament und Demokratie

Das Europaparlament hat den italienischen Sozialdemokraten David-Maria Sassoli zu seinem Präsidenten gewählt. In geheimer Abstimmung schaffte es Sassoli erst im zweiten Anlauf knapp die nötige Mehrheit zu bekommen, obwohl er mit Christdemokraten und Liberalen eine Absprache getroffen hatte. Regierungschefs der drei Parteifamilien hatten Dienstag Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin vorgeschlagen.

Kandidatin von der Leyen und die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten Sassoli kommentiert Daniel Freund, Mitglied des Europäischen Parlaments aus Aachen für Bündnis 90/Die Grünen:

“Das Personalpaket der Staats- und Regierungschefs mit Ursula von der Leyen missachtet das Votum der europäischen Wählerinnen und Wähler für mehr Demokratie in der Europäischen Union. Mit dem Spitzenkandidatenprinzip sollte die Wahl des Kommissionschefs aus den Hinterzimmern geholt und in die Hände der Wählerinnen und Wähler gelegt werden. Dass der Rat das Ergebnis der Europawahl ignoriert und eine Kandidatin vorschlägt, die nicht angetreten ist und am Europawahlkampf nicht teilgenommen hat ist ein demokratischer Rückschritt. Es ist bitter, dass in unheiliger Allianz der pro-Europäer Macron mit dem anti-Europäer Orban alle Spitzenkandidaten verhindert und damit den europäischen Parlamentarismus beschädigt hat.

Die holprige Wahl von Sassoli als Parlamentspräsident ist eine Warnung für Ursula von der Leyen. Sie hat im Europaparlament bisher keine Mehrheit und wird es nicht leicht haben, unbeschädigt Kommissionspräsidentin zu werden. Ihre Wahl ohne direkten Rückhalt der Wähler ist eine schwere Bürde. Das Prinzip von Spitzenkandidaten muss jetzt so gestärkt werden, dass eine Wiederholung des Trauerspiels der letzten Tage sich nie mehr widerholt. Dazu müssen für die Europawahl 2024 transnationale Listen eingeführt werden. Kandidaten, die in allen Mitgliedstaaten auf dem Stimmzettel stehen, kann kein Präsident oder Premier mehr vom Tisch wischen. Der Rat muss jetzt auf das Parlament zugehen, um eine institutionelle Krise zu verhindern.”

HINTERGRUND

Sassoli erhielt 345 Stimmen, deutlich weniger als die 444 der ihn unterstützenden drei größten Fraktionen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und RenewEurope (Liberale). Um vom Europaparlament gewählt zu werden, benötigt von der Leyen eine Mehrheit der Mitglieder, also 376 Stimmen.

Die in der Europawahl angetretenen Spitzenkandidaten wurden vom Rat abgelehnt. Präsident Emmanuel Macron verhinderte den Christdemokraten Manfred Weber, Premier Viktor Orban verhinderte den Sozialdemokraten Frans Timmermans.