Hier entscheidet sich die Zukunft unserer Demokratie: Meine Reise in den US-Wahlkampf
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl tief gespalten. Ein aufgehitzter Wahlkampf hat die Gesellschaft stark polarisiert. Aktuell läuft in den Swing States (also jenen Bundesstaaten, die die Wahl entscheiden werden) die wahrscheinlich größte und aufwändigste Wahlkampagne, die es je gegeben hat. Donald Trump macht aus seiner illiberalen Agenda keinen Hehl und der transatlantischen Partnerschaft stehen stürmische Zeiten bevor. Das sind die Haupterkenntnisse meiner Reise in den US-Wahlkampf in dieser Woche. Ich habe die vergangenen Tage in Washington und im US-Bundesstaat Pennsylvania verbracht – mehrere Wahlkampf-Events von Demokraten und Republikanern besucht und mit Wahlkämpfer*innen gesprochen und feststellen müssen: der Wahlkampf in den USA ist in vielerlei Hinsicht “extrem”.
“We are not going back!” – die Harris-Kampagne
Mehr als 75.000 Menschen versammelten sich am Dienstagabend auf der Wiese vor dem Weißen Haus in Washington DC, um die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten (und Vizepräsidentin) Kamala Harris zu sehen. Es war nicht nur das bislang größte Wahlkampf-Event in dieser Kampagne, sondern auch das mit Abstand größte politische Event, das ich je gesehen habe. Es herrschte Festival-Atmosphäre. Harris hat den Begriff FREIHEIT (freedom) ins Zentrum ihrer Rede und des Wahlkampfendspurts gestellt und zielt damit auch auf Frauen und Minderheiten. Ein Zurück zur repressiven Politik, wie sie Donald Trump vor allem beim Abtreibungsrecht fordert, soll es nicht geben. Mehrfach sagte Harris: “We are not going back!” (in etwa: ‘Wir weichen nicht zurück.’) Man merkte, dass Harris zwar kräftig gegen Trump austeilte, aber gegenüber seinen Unterstützer*innen sanftere Töne anschlug, um auch Wechselwähler*innen zu überzeugen.
Lügen, Angst und Hass – die Kampagne der Republikaner
Komplettes Kontrastprogramm im ländlichen Pennsylvania. Im kleinen Ort Bedford haben sich ein paar Hundert Anhänger von Donald Trump in einem Flugzeughangar versammelt, um ihre Fragen an J.D. Vance zu stellen. Der Senator aus Ohio soll Vizepräsident werden, wenn Trump am 5. November der US-Wahl gewinnen sollte. Vance ist deutlich weniger skurril als Trump, wirkt seriöser und soll vor allem Mittelklasse-Amerikaner überzeugen. Sein Programm ist aber nicht weniger radikal. Seine Aussagen sind nicht weniger extrem. Im Vorprogramm seines Events traten Senatoren auf, die vor der jubelnden Masse Lügen über angebliche Geschlechtsumwandlungen für illegale Einwanderer erzählten. Vance selbst wetterte gegen die angebliche Bevorzugung von Migrant*innen und attackierte, verbreitete Lügen über den Irak-Krieg und stachelte seine Anhänger*innen immer und immer wieder mit Attacken gegen Kamala Harris auf.
Kurze Slogans und eine gewaltige Materialschlacht
Es ist Wahnsinn zu sehen, wie präsent der Wahlkampf in den Swing States wirklich ist. Im Fernsehen läuft fast keine “normale” Werbung mehr, sondern nur noch Wahlspots. An den Autobahnen gibt es hunderte Großflächenplakate beider Lager und überall stehen Yardsigns, Pappen, Poster und Fahnen. Ein Beispiel: Als ich das Hauptquartier der Demokraten in Reading, Pennsylvania besuchte, wurde dort eine LKW-Ladung Wahlkampfmaterial geliefert. Fünf Tage vor der Wahl. Für einen Wahlkreis mit 780.000 Einwohnern.
Aus Europäischer Sicht ist erstaunlich, wie wenig konkrete politische Inhalte der Wahlkampf hat, besonders bei den Republikanern. Kamala Harris hat “Freiheit” ins Zentrum ihrer Kampagne gestellt. Bei Trump und Vance soll Amerika wieder “großartig” gemacht werden. Und die Kampagnen sagen immer und immer wieder, sie würden die Inflation senken. Wie das gehen soll? Detaillierte Vorschläge gibt es wenig. Den Gipfel der Simplifizierung fand ich auf einem Trump-Plakat: “Harris = hohe Preise; Trump = niedrige Preise”.
Warum sich Europa wird anschnallen müssen
Was im US-Wahlkampf unterdessen komplett fehlt: Jegliche Referenz auf “Europa”, “Alliierte”, “Freunde”, die Ukraine. Man bekommt hier sehr schnell den Eindruck, dass sich die Demokraten so intensiv mit einem autoritären Donald Trump auseinandersetzen (müssen), dass der Blick für die transatlantische Partnerschaft verloren geht. Außenpolitik spielt nur am Rand eine Rolle. Die USA werden sich (leider) auf absehbare Zeit um sich selbst drehen. Das wird ganz unmittelbare Konsequenzen für uns in Europa haben. Die Rückendeckung durch die USA – die finanzielle Unterstützung der Ukraine, all das könnte in Frage gestellt werden und wird dazu führen, dass wir in Europa schnell lernen werden müssen, auf unsere eigenen sicherheitspolitischen Beinen zu stehen.
Beängstigend ist außerdem, dass die größten Herausforderungen der Menschheit – Klimawandel und Artensterben – im Wahlkampf keine Rolle spielen. Null.
Ich hoffe sehr, dass die USA unser wichtigster demokratischer Partner außerhalb Europas bleiben. Dafür ist es wichtig, dass die USA erst einmal demokratisch bleiben und nicht von einem Autokraten gekapert werden. Es wird bis zum Wahl-Dienstag eng bleiben. Und entschieden wird das Schicksal dieser Demokratie vielleicht in einigen wenigen Wahlkreisen in Pennsylvania. Wahnsinn.
Ich hoffe sehr, dass die USA unser wichtigster demokratischer Partner außerhalb Europas bleiben. Dafür ist es wichtig, dass die USA erst einmal demokratisch bleiben und nicht von einem Autokraten gekapert werden.