Daniel Freund

25. September 2024 Demokratie

Tabubruch in Trippelschritten: Wie Europas Konservative die Rechtsaußenparteien salonfähig machen

Vergangene Woche kam es im Europaparlament zu einem Dammbruch. Am Donnerstag stimmten die Konservativen – also auch Abgeordnete von CDU und CSU – gemeinsam mit Rechtsaußen und Rechtsextremen (darunter auch Abgeordnete der AfD) für einen Entschließungsantrag zu Venezuela. Das Besondere daran ist noch nicht das Abstimmungsverhalten. Da hat es auch in der Vergangenheit Überschneidungen zwischen pro-europäischen und Rechtsaußen-Fraktionen gegeben. In diesem Fall aber bekam ein Antrag eine Mehrheit, der von der EVP zusammen mit Rechtsaußen-Parteien eingereicht worden war. Das hat es in der Geschichte des Europaparlaments so noch nicht gegeben. Hier wurde ganz offen – über die Brandmauer hinweg – politisch koordiniert und kooperiert. Das Ergebnis: Für den rechtlich nicht bindenden Antrag stimmte eine Mehrheit von 309 Abgeordneten. Darunter die Stimmen von: CDU/CSU (EVP-Fraktion), Orbans Fidesz-Partei (Patrioten-Fraktion), polnischer PiS (EKR-Fraktion) und der AfD (ESN-Fraktion). Was bedeutet das für unsere Demokratie?

CDU/CSU brechen das erste Wahlkampfversprechen

Wie ein Mantra haben Manfred Weber (CSU) und Ursula von der Leyen (CDU) im Europawahlkampf beteuert, dass es von ihrer Seite KEINE Kooperation mit Kräften geben wird, die nicht folgende Bedingungen erfüllen: pro-Ukraine, pro-Rechtsstaat, pro-Europa. Dieses Versprechen hielt gerade einmal bis in die zweite Sitzungswoche des Europaparlaments. Dass die AfD nicht “pro-Europa” ist, ist ebenso klar, wie die Tatsache, dass Orbans Fidesz nicht “pro-Ukraine” ist. Und auch die italienischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni sollten eigentlich kein Kooperationspartner sein. Denn sie stimmte in der vergangenen Legislatur bei nahezu allen Rechtsstaatsresolutionen dagegen. Und doch bahnt sich in Europa die nächste Kooperationsstufe zwischen Konservativen und Rechtsaußen-Kräften an.

Kommt der nächste Deal mit Rechts?

Die nächste Gelegenheit für eine Kooperation der EVP mit Rechtsaußen-Kräften steht bevor. Diesmal sogar mit ganz konkreten politischen Konsequenzen. Denn in den kommenden Wochen werden in Brüssel die Anwärter*innen für die Kommissarsposten im Europaparlament angehört. Besondere Aufmerksamkeit dürften hier die Kandidaten aus Italien (Raffaele Fitto, Fratelli d’Italia, soll sogar von der Leyens Vize werden) und Ungarn (Oliver Varhelyi, Fidesz) bekommen. Beide benötigen eigentlich auch die Stimmen der EVP um es in die kommende Kommission zu schaffen. Zeichnet sich hier bereits der nächste Deal der Konservativen mit Rechtsaußen ab? Denn auch die EVP hat ein Interesse daran, ihre 14 Kandidat*innen für die EU-Kommission geräuschlos durch die Anhörungen zu bekommen – und könnte dafür auf die Unterstützung von Fidesz, Fratelli und Co. zurückgreifen.

Schleichende Normalisierung von Rechtsaußen – bald auch in Deutschland?

Das Kalkül einiger Konservativer im Europaparlament geht so: Bekommen wir für unsere Politik keine Mehrheit mit Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen (der so genannten Von-Der-Leyen-Mehrheit), dann paktieren wir mit den Kräften rechtsaußen. Aus machtpolitischen Gesichtspunkten mag diese Strategie sinnvoll erscheinen. Aber am Ende schadet die EVP damit Europa, dem Rechtsstaat, der Ukraine und sich selbst. Denn sie normalisiert damit extreme Positionen, Politiker*innen und Parteien von Rechtsaußen. Sie verschafft antidemokratischen Kräften einen Machtzuwachs und sie schafft gefährliche Präzedenzfälle, die auch in Deutschland genau beobachtet werden.

WEBINAR: Kann die neue EU-Kommission Demokratie und Klima schützen?

In unserem Webinar der Grünen-Europagruppe analysiere ich zusammen mit Hannah Neumann, Anna Cavazzini und Jutta Paulus das Personaltableau der Kommission. Hier könnt ihr die Diskussion anschauen: Von der Leyens neues Team: Kann diese Kommission Klima und Demokratie schützen?

Und doch bahnt sich in Europa die nächste Kooperationsstufe zwischen Konservativen und Rechtsaußen-Kräften an.

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