Europaparlament bringt EU-Vertragsänderungen auf den Weg: Weniger Vetos, stärkeres Parlament, Recht auf Abtreibung
Heute hat das Europaparlament ein umfassendes Paket von mehr als 250 Vorschlägen für konkrete Vertragsänderungen beschlossen. Die proeuropäische Mehrheit reicht von Christdemokraten bis zur Linken. Viele Vorschläge basieren auf den Forderungen der EU-Zukunftskonferenz, in der alle EU Regierungen, alle Parlamente, aber auch 800 zufällig ausgewählten EU-Bürger*innen zusammen diskutiert haben.
Kerninhalte (ausführliches Briefing weiter unten):
- Abschaffung nationaler Vetos, fast überall, z.B. in der Außenpolitik, bei den Schritten zur EU-Erweiterung
- Mehr Wirkung der Europawahl auf die EU-Kommission weil die Präsidentin vom Parlament vorgeschlagen wird und selbst ihre Kommissare aussucht
- Die EU erhält Zuständigkeit für Gesundheit, das Recht auf Abtreibung soll Teil der EU-Grundrechtecharta werden
- Stärkere Verteidigung unserer Werte: EU-Gericht entscheidet ob Regierung EU-Werte verletzt. Rat beschließt Sanktionen nicht mehr einstimmig, sondern mit Mehrheit
- Stärkung des Europaparlaments mit voller Gesetzesinitiative
MdEP Daniel Freund (Grüne), EP-Berichterstatter für Vertragsänderungen, kommentiert:
„Diese Vertragsänderungen machen die Europäische Demokratie stärker und wehrhafter. Sie machen die EU handlungsfähig und fit für die nächste Runde der EU-Erweiterung. Nationale Vetos sind ein Sicherheitsrisiko für Europa. Putin muss nur eine Regierung drehen um Europa zu blockieren. Das müssen wir beenden. Diese Abstimmung ist ein historischer Erfolg. Jetzt liegt es an den Mitgliedstaaten, endlich den Weg für einen EU-Konvent frei zu machen.”
Meine Rede im Plenum des Europaparlaments vom 21.11.2023: https://www.youtube.com/watch?v=KDfOVzmDhw8&t=46s
Bisheriger Weg zum historischen Beschluss heute: https://danielfreund.eu/der-foederalen-republik-naeher/
Die wichtigsten Inhalte: Abschaffung Vetos, kleinere Kommission, Gesundheit als neue Kompetenz inkl. Abtreibung
Handlungsfähig ohne Vetos: Der wichtigste Vorschlag ist die Abschaffung vieler Fälle von Einstimmigkeit im Rat, also von nationalen Vetos, auch in der Außenpolitik und den einzelnen Schritte vor der endgültigen EU-Erweiterung. Stattdessen wird im Rat mit Mehrheit der Länder und Bevölkerung entschieden.
Weitere Demokratisierung der EU-Kommission: Die Kommissionspräsident*in soll vom EP vorgeschlagen und vom Rat bestätigt werden statt bisher umgekehrt. Die Personalvorschläge macht die Kommissionspräsident*in nicht mehr die Mitgliedstaaten. Dadurch hängt die faktische EU-Regierung nicht mehr von den EU-Regierungen, sondern vom Wahlergebnis der Europawahl ab.
Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit ohne Blockade: Artikel 7 EU-Vertrag erlaubt den Entzug der Vorteile der Mitgliedschaft für eine Regierung die schwerwiegende und anhaltende Verletzung der EU-Grundwerte (nicht nur EU-Geld, auch Stimmrecht). Bisher braucht es Einstimmigkeit minus 1, blockiert durch die Regierungen Ungarns und Polens, die sich gegenseitig beschützten. Falls dies nach der Wahl in Polen nicht jetzt politisch gelöst werden kann, würde die Entscheidung stattdessen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen. Das Gericht entscheidet, ob die Grundwerte verletzt werden, der Rat entscheidet über Sanktionen.
Gesundheit inkl. Rechte auf Abtreibung wird auch EU-Kompetenz: Gesundheit, Zivilschutz, Industrie und Bildung werden geteilte Kompetenzen. Das Recht auf Abtreibung wird ebenfalls ausdrücklich geteilte Kompetenz, um Mindeststandards EU-weit verpflichtend machen zu können.
Und mehr: Initiativrecht, Klimaschutz als Vertragsziel, gemeinsame Rüstungsbeschaffung
- Echtes Initiativrecht für das EP
- Diskriminierung kann einfacher per Gesetz verhindert werden
- Stopp der Klimaerwärmung wird Vertragsziel, Klimaneutralität wird Voraussetzung für alle neuen Gesetze
- Rüstungsbeschaffung wird europäisch organisiert
- Die EU kann Gesetze für Transparenzstandards in den EU-Institutionen erlassen
Zeitplan: Chancen für eine Entscheidung für einen EU-Konvent im Frühjahr 2024
- Plenarabstimmung 22 November
- Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten überweist den Vorschlag an den Europäischen Rat (wahrscheinlich durch die spanische Präsidentschaft im Nov/Dez 2023).
- Der Europäische Rat diskutiert (evtl. Dezember) und entscheidet, ob ein EU-Konvent die Vorschläge diskutiert und beschließt (evtl. belgische Präsidentschaft erste Hälfte von 2024). Der EuCo beschließt dies mit einfacher Mehrheit. Im Rat wird bereits ein Zeitplan für die weitere Debatte zirkuliert, der auch einen Zeitpunkt für die Entscheidung vorsieht, ob Vertragsänderungen kommen.
- Ein EU-Konvent würde voraussichtlich erst nach der Europawahl zusammenkommen.
Vom AFCO beschlossener Entwurf: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2023-0337_DE.html
(Die Resolution ist eine gute Übersicht der 267 Änderungsanträge zu den Verträgen.)
Diese Vertragsänderungen machen die Europäische Demokratie stärker und wehrhafter. Sie machen die EU handlungsfähig und fit für die nächste Runde der EU-Erweiterung.