Reise nach Polen: Erschütternd, wie schnell Demokratie und Grundrechte abgebaut werden
Elementare Grundrechte und zentrale Pfeiler des Rechtsstaats stehen in Polen unter enormem Druck. Ich bin in der vergangenen Woche nach Łódź und Warschau in Polen gereist, um mir ein Bild von der Lage zu machen. Ich habe mich mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, Kommunalpolitiker*innen, Journalist*innen, Richter*innen und Mitgliedern unserer Grünen Schwesterpartei getroffen. Die Haupterkenntnis: Die Attacken der PiS-Regierung auf freie Medien, Justiz und die Rechte von Frauen und LGBTQI-Personen gehen unvermindert weiter. Dabei wurden bereits EU-Zahlungen in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro auf Eis gelegt, weil die polnische Regierung zielgerichtet europäische Grundwerte verletzt. Und auch die organisierte Korruption im Land mit öffentlichen Geldern nimmt zu. Die Haupterkenntnisse im Überblick:
EU-Gelder: Wer Opposition wählt, geht leer aus
Die Stadt Łódź, südwestlich von Warschau, hat rund 700.000 Einwohner*innen. Aktuell werden hier 120.000 Geflüchtete aus der Ukraine und Belarus versorgt. Das Problem: Die EU-Gelder für die Stadt werden von der Region verteilt – dort sitzt ein Vertrauter der PiS-Regierung. Łódź aber wird von einer Bürgermeisterin der Opposition – Hanna Zdanowska (PO) – regiert. Diese politische (Nicht-)Vergabe von EU-Geldern darf nicht sein. Und doch wird sie von der Regierung in Warschau gegen oppositionell regierte Städte in Stellung gebracht. Das Signal an die Bevölkerung: Wenn ihr ‘falsch’ wählt, gibt es kein Geld. Durch eine Steuerreform wurden den Kommunen, die in großer Zahl von der Opposition regiert werden, 50% der Einnahmen entzogen.
Die Zahlen aus Łódź sind besonders schockierend. Hanna Zdanowska berichtet mir, dass sie im Vergleich zur vergangenen Förderperiode 90% weniger EU-Geld bekommt. Vergaberichtlinien wurden so umformuliert, dass die Stadt sich auf gewisse EU-Gelder nicht mehr bewerben kann. Dabei wird das Geld im sozialen Wohnungsbau dringend benötigt. Oppositionsgeführten Städten wird systematisch der Geldhahn abgedreht.
Justiz: Unter voller Regierungskontrolle
Die Tragweite der polnischen Justizreformen wird einem manchmal erst in persönlichen Geschichten bewusst. Ich habe in Warschau eine Staatsanwältin getroffen, die strafversetzt wurde, weil sie EU-Recht angewandt hat. Sie musste ihren Posten innerhalb von 36 Stunden räumen und wurde ans andere Ende des Landes versetzt – weg von Familie, Wohnung und sozialem Netzwerk. Solche Disziplinarmaßnahmen verstoßen gegen EU-Recht. Sie verhindern, dass Polen vollen Zugang zu dringend benötigten EU-Geldern erhält. Und dennoch sind sie weiter gängige Praxis.
Die polnische Regierung hat die freie Justiz in den vergangenen Jahren derart systematisch angegriffen, dass die Rechtsstaats-Situation hier sogar noch schlimmer ist, als in Ungarn. Gerichte und Richterschaft werden von der Regierung kontrolliert. Die PiS-Regierung kann de facto keine Auseinandersetzungen vor Gericht mehr verlieren. Die Dimension ist gewaltig. Eine Vertreterin des polnischen Richter*innenverbandes sagt mir, dass das Ausschalten der freien Justiz vergleichbar ist mit dem Vorgehen Wladimir Putins in Russland. Die EU-Kommission darf sich hier im Streit mit der polnischen Regierung nicht auf faule Kompromisse einlassen. Die Unabhängigkeit der Justiz ist eine zentrale Säule des Rechtsstaats und nicht verhandelbar!
Freie Presse: Eingeschränkt mit beängstigender Geschwindigkeit
Die Medienlandschaft in Polen ist deutlich diverser und freier als in Ungarn. Und dennoch berichten mir mehrere Journalist*innen, dass die freie Presse im Land immer mehr ins Visier der Regierung geraten ist. Kritische TV- und Radiosendern bekommen aktuell ihre Lizenzen nicht erneuert – ohne Angabe von Gründen. Ihre Zukunft ist ungewiss. Und gleichzeitig verbreiten regierungsnahe Medien immer mehr Propaganda und Lügen. Oppositionelle werden zum Ziel von Schmierkampagnen.
Was Hoffnung macht: Starke Frauen, Starke Zivilgesellschaft
Es hat mich in den vergangenen Tagen sehr beeindruckt, zu sehen, wie stark organisiert und aktiv die Zivilgesellschaft in Polen ist. Richter*innen, Journalist*innen und Frauenorganisationen sind in der Lage, die Regierung für ihre Politik öffentlich unter Druck zu setzen. Sie schaffen es, mehrere zehntausend Menschen für Demonstrationen zu mobilisieren. Besonderen Eindruck hat das Engagement der Frauen auf mich gemacht. In Polen gibt es keinen Zugang zu medizinischer Unterstützung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Es sterben Frauen, weil ihnen medizinische Hilfe verwehrt wird. Der Kampf der Frauen gegen diese unerträglichen Zustände ist unfassbar mutig.
Polens Bürger*innen werden bald noch intensiver zu spüren bekommen, dass EU-Zahlungen in Milliardenhöhe wegen des Rechtsstaatsstreits ausbleiben. Schuld ist die kompromisslose Haltung der PiS-Regierung. Der Konflikt mit der Eu wird sich weiter zuspitzen. Es ist wichtig, dass die EU weiter fest an der Seite der polnischen Bürger*innen steht und sich nicht auf einen faulen Deal mit der PiS-Regierung einlässt. Denn eines habe ich auf meiner Reise wieder sehr deutlich erfahren: Die Pol*innen kämpfen für die Demokratie. Und sie vertrauen auf die Europäische Union.