Daniel Freund

16. September 2021 Transparenz

Großer Grüner Erfolg für Saubere Politik und Vertrauen in Europäische Demokratie - Europaparlament für EU-Ethik-Gremium

Überwältigende Mehrheit für bessere Lobbytransparenz im Europaparlament! Heute (Donnerstag, 16. September) hat das Europäische Parlament den Bericht über die „Verbesserung von Transparenz und Integrität in den Organen der EU durch die Einsetzung eines unabhängigen Ethikgremiums der EU“ beschlossen. Der Entwurf von Berichterstatter Daniel Freund (Grüne/EFA) erhielt 377 Ja-Stimmen, 87 Abgeordnete votierten dagegen, bei 224 Enthaltungen. Grüne/EFA, Sozialdemokraten, Liberale (Renew) und Linke stimmten dafür. Die Christdemokraten entschieden sich kurz vor der Bundestagswahl zur Enthaltung, statt den Entwurf wie noch in der Abstimmung im Verfassungsausschuss abzulehnen. 

Ein 9-köpfiges Ethikgremium aus unabhängigen Experten soll künftig die Regeln gegen Interessenkonflikte, Drehtüreffekte und Korruption innerhalb der EU-Institutionen glaubwürdig durchsetzen. Der Bericht fordert die EU-Kommission auf, eine interinstitutionelle Vereinbarung über die Einrichtung eines EU-Ethikgremiums auszuarbeiten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihre Unterstützung bereits versprochen und Vizepräsidentin Vera Jourová damit beauftragt.

 

Daniel Freund, Berichterstatter des Europaparlaments für das Ethik-Gremium und Mitglied des Verfassungsausschuss für die Grüne/EFA-Fraktion kommentiert:

“Wir feiern heute einen großen Erfolg für Saubere Politik in der Europäischen Union. Das unabhängige Ethikgremium ist ein großer Schritt für stärkeres Vertrauen in die europäische Demokratie. Es darf nie der Eindruck entstehen, dass Politik für zahlkräftige Einzelinteressen käuflich ist! Das derzeitige System der Selbstregulierung ist nicht stark genug, um Skandale um Interessenkonflikte und Drehtüreffekte zu verhindern.

Das neue Ethik-Gremium kann die guten europäischen Regeln für Lobbykontrolle endlich glaubwürdig durchsetzen. Kommissarinnen und Kommissare, Abgeordnete und EU-Beamtinnen und -Beamte müssen durch unabhängige Experten und Expertinnen statt durch ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen kontrolliert werden. Der Parlamentsbeschluss macht das neue Ethik-Gremium unabhängig in seiner Besetzung, gibt ihm das Recht selbst Untersuchungen zu starten und seine Empfehlungen zu veröffentlichen, sodass Entscheidungsträger rechenschaftspflichtig werden. Mit dieser Durchsetzungsstärke kann das Ethik-Gremium Glaubwürdigkeit gewinnen und Skandale verhindern, die die europäischen Institutionen schon zu lange plagen. Das Ethikgremium kann so zum Vorbild für Lobbykontrolle in der EU werden.

Es ist entlarvend, dass die Christdemokraten sich noch immer nicht zur Unterstützung unabhängiger Kontrolle von Ethik-Regeln für Lobbykontrolle durchringen können. CDU und CSU wissen offenbar immer noch nicht, welche Lehre sie aus den jüngsten Affären ziehen sollen. Diese traurige Abstimmung folgt auf ein CDU/CSU-Bundestagswahlprogramm, in dem die Begriffe Lobby, Transparenzregister, Nebeneinkünfte, Drehtür und Abkühlzeit nicht vorkommen. Selbst Korruption will die Union nur in Afrika und im Sport, nicht aber in Deutschland bekämpfen. Dabei war gerade auch das Verhalten von Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) Motivation für eine unabhängige Kontrolle der Abkühlzeit vor dem Wechsel in den Lobbyismus. Seine Ex-Kommissarskollegen hatten Oettinger in der Abkühlzeit erlaubt, für Deloitte zu lobbyieren, obwohl er kurz zuvor noch Aufträge an Deloitte in Höhe von 4 Millionen selbst verantwortet hat, und sogar seine eigene Lobbyfirma zu gründen. Solche zu laxe Auslegung der Regeln unter Ex-Kollegen schadet dem Vertrauen in die Europäische Demokratie. Das Votum für unabhängige Kontrolle heute im Europaparlament macht Hoffnung, dass wir dem bald einen Riegel vorschieben können.”

 

Änderungsanträge der Christdemokraten: zum Glück abgelehnt

In drei Plenaranträgen forderte die christdemokratische EVP-Fraktion, das neue Gremium von vornherein zu schwächen, indem seine Untersuchungsbefugnisse auf die derzeitige Vereinbarung zwischen Kommission und Parlament beschränkt werden und seine Rolle in Bezug auf Kommissar-Kandidaten verzögert wird (auch wenn jeder Tag zählt, um sie nach ihrer Ernennung auf Interessenkonflikte zu überprüfen).

 

Der nächste Schritt: Die EU-Kommission entwirft eine Interinstitutionelle Vereinbarung

Mit der Abstimmung am Donnerstag soll die Position des Parlaments festgelegt werden. Als Nächstes erwarten wir, dass die Kommission eine interinstitutionelle Vereinbarung (IIA) zumindest zwischen Kommission und Parlament, möglicherweise auch mit dem Rat und offen für die Beteiligung weiterer Institutionen, ausarbeitet. Wenn diese IIA ausgehandelt und abgeschlossen ist, kann das Ethik-Gremium hoffentlich noch in dieser Legislaturperiode seine Arbeit aufnehmen.

Diese Schlüsselbegriffe kommen darin nicht vor:

- Lobby
- Transparenzregister
- Nebeneinkünfte/Nebeneinkommen
- Drehtür
- Karenzzeit/Abkühlzeit

Korruption taucht zwei mal auf, aber nur in Bezug auf Afrika und Sport:
“Nachhaltige Entwicklung in Afrika... Unverzichtbar sind Anstrengungen bei der Korruptionsbekämpfung und für Rechtsstaatlichkeit, die wir fordern und fördern.”
“Die Kontrollinstanzen für den Kampf gegen Doping, Manipulation und Korruption sollen gestärkt werden. Sie müssen international stärker abgestimmt und auch kontrolliert werden.”

Bundestagswahlprogramm der CDU/CSU

Für eine transparentere Politik

Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürger*innen, jeder Anschein käuflicher Politik richtet Schaden an. Wir wollen das Vertrauen in demokratische Institutionen und Mandatsträger*innen stärken und das Primat der Politik gegenüber intransparenter Einflussnahme schützen. Wir sind überzeugt: Transparente und nachvollziehbare Politik stärkt das Gemeinwohl. Deshalb wollen wir Lobbyismus transparenter und den Einfluss organisierter Interessensgruppen und von Lobbyist*in-nen sichtbar machen. Das Lobbyregister wollen wir für Bundesregierung, Bundesministerien und Bundestag nachschärfen und die vielen Ausnahmen für maßgebliche Akteur*innen abschaffen. Mit dem legislativen Fußabdruck schaffen wir Klarheit, wer bei der Entstehung von Gesetzen Einfluss nimmt. Interessenskonflikte wollen wir stärker in den Blick nehmen und den Wechsel aus Regierungsämtern in die Wirtschaft während einer Karenzzeit von zwei Jahren prüfen lassen. Für Abgeordnete ist das freie Mandat der Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. In Zukunft werden Einkünfte aus Nebentätigkeiten auf Euro und Cent veröffentlicht, für Unternehmensbeteiligungen und Aktienoptionen gibt es striktere Regeln und Spenden an Abgeordnete und die Lobbytätigkeit für Abgeordnete werden verboten. Die Anwendung dieser Maßnahmen soll evaluiert werden. Für Nebenverdienste von Abgeordneten wollen wir zudem eine verpflichtende Angabe der Branche. Unabhängige Kontrolle stärkt die Transparenz und Integrität. ...


Einflussnahme auf EU-Gesetzgebung transparent machen

... Die EU arbeitet bei Interessensvertreter*innen bereits transparenter als der Bundestag. Wir wollen weitere Schritte gehen – mit einem verbindlichen Lobbyregister für alle EU-Institutionen, strikteren Karenzzeiten beim Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft und einem „legislativen Fußabdruck“, durch den die Einflussnahme auf Gesetzgebung überprüfbarer wird, kontrolliert durch eine unabhängige Ethikbehörde, die Sanktionen verhängen kann.

Grünes Bundestagswahlprogramm 2021

Das Ethikgremium bietet eine unabhängige Kontrolle anstelle der derzeitigen Selbstkontrolle. Im EP empfehlen derzeit fünf vom EP-Präsidenten ausgewählte MdEP, wie mit Verstößen umzugehen ist, in der Kommission werden ein ehemaliges MdEP, ein ehemaliger Richter und ein ehemaliger hoher Kommissionsmitarbeiter von der Kommissionspräsidentin ausgewählt, um dasselbe für sie zu tun. Das neue Ethikgremium würde aus 9 unabhängigen Mitgliedern bestehen, z. B. ehemaligen Richtern und Ethikexperten. Kein Organ würde eine Mehrheit auswählen, das EP 3, die Kommission weitere 3 und die letzten 3 von Gerichten und ähnlichen Einrichtungen. Direkte Kollegen der betreffenden Personen wären nicht mehr wählbar.

Das neue Ethik-Gremium würde von sich aus Untersuchungen einleiten und müsste nicht mehr auf die Zustimmung des Präsidenten eines Organs warten, wie dies bei den derzeitigen Gremien der Fall ist.

Das Gremium kann zwar nicht selbst entscheiden, aber seine Empfehlungen an die Entscheidungsträger der Einrichtung werden veröffentlicht. Kein Verfahren kann mehr in einer Sackgasse enden, wie es in der Vergangenheit im Parlament der Fall war.

Seit langem fordern Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International (TI EU) und andere sowie wir Grüne/EFA eine glaubwürdigere Umsetzung ethischer Regeln. TI EU hat alle EU-Spitzenkandidaten befragt und ihre Zusage erhalten, das Ethikgremium im Falle ihrer Wahl zu unterstützen. Daniel Freund hatte das EU-Ethik-Gremium erfolgreich ins Grüne Wahlprogramm 2019 geschrieben. Als die Grünen/EFA-Fraktion Ursula von der Leyen vor ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin befragte, erhielten wir auch von ihr die Zusage, das Ethikgremium zu unterstützen. Mit Daniel Freund hat ein Grüner/EFA als Berichterstatter den Bericht verfasst und verhandelt.

Günther Oettinger (schied 2019 aus dem Amt), ehemaliger Kommissar für Energie (2010-2014), für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft/Haushalt und Personal (2014-2019) hat nun 17 neue Stellen, u.a. für Deloitte, obwohl sich in seinem letzten vollen Jahr 2018 die Verpflichtungen der Kommission gegenüber Deloitte-Mitgliedsfirmen auf 27 Mio. € beliefen, wovon ca. 4 Mio. € auf Oettingers Verantwortung entfielen, und für die Herrenknecht AG, ein Unternehmen, das massiv von dem Bauprojekt Stuttgart 21 profitierte, das während seiner Zeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg beschlossen wurde.

Ádám Farkas (schied 2019 aus), ehemaliger Exekutivdirektor der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA bis Oktober 2019), dann Cheflobbyist von AFME (Februar 2020), dem europäischen Verband der Großbanken und Kapitalmarktakteure. Die Erlaubnis dafür wurde von der EU-Bürgerbeauftragten und dem Europaparlament gerügt.

Reinald Krüger (beurlaubt seit 2018), ehemaliger Leiter des Referats Regulierungskoordinierung und Märkte in der Generaldirektion Kommunikationsnetze, -inhalte und -technologie (bis April 2018), jetzt Group Public Policy Development Director bei Vodafone (seit Oktober 2018), Vodafone hat ihn ausdrücklich wegen seiner "Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Regulierung" eingestellt. Bedingung für die Erlaubnis ist, dass er sich für einen Zeitraum von einem Jahr nicht mit Mitarbeitern der Europäischen Kommission einlässt, sich nicht mit Angelegenheiten befasst, die in direktem Zusammenhang mit seiner Arbeit bei der Kommission stehen, und keine Treffen beruflicher Art mit seiner früheren Generaldirektion oder Dienststelle abhält, aber er wurde "zunächst bei einer von Vodafone organisierten Debatte in Brüssel über das 'Internet der Dinge', dann bei einer Konferenz in Lissabon über 'Die Zukunft der digitalen Politik aus der Sicht der Verbraucher' und schließlich bei einer Konferenz für europäische Regulierungsbehörden in Riga gesehen." Die Kommission argumentiert, dass es nur dann einen Interessenkonflikt gegeben hätte, wenn Krüger die Veranstaltungen selbst organisiert hätte.