CDU/CSU-Verhaltenskodex ist ein Ablenkungsmanöver, unabhängige Kontrolle verbindlicher Regeln ist nötig
CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Brinkhaus kündigt einen neuen Verhaltenskodex der Fraktion an. Er reagiert damit auf den Skandal um die persönliche Bereicherung der Abgeordneten Nüßlein und Löbel beim Handel mit Schutzmasken. Im Europaparlament wurde ein Verbot bezahlter Lobbytätigkeit für Abgeordnete schon letzte Legislatur auf Grüne Initiative hin beschlossen. Nebeneinkünfte müssen im Europaparlament ab dem ersten Euro angegeben werden, nicht erst ab 10.000 Euro wie im Bundestag. (Siehe Vergleich der Verhaltenskodexe unten.)
Als Konsequenz aus den Schwächen der bisherigen Selbstkontrolle von Abgeordneten durch Abgeordnete haben Kommissionspräsidentin von der Leyen und alle europäischen Spitzenkandidaten zur letzten Europawahl, inklusive Manfred Weber (CSU), Unterstützung für eine unabhängige Kontrolle von Ethik-Regeln zugesagt. Statt einer Kontrolle von Abgeordneten durch Abgeordnete soll eine neue Ethik-Behörde durch unterschiedliche Institutionen und mit externen Experten besetzt werden. Daniel Freund (Grüne) hat dazu als Berichterstatter des Europäischen Parlaments einen Entwurf vorgelegt.
Den Vorschlag eines CDU-CSU-Verhaltenskodex kommentiert Daniel Freund, Berichterstatter des Europaparlaments für eine unabhängige Ethik-Behörde:
“Der Vorschlag eines CDU-CSU Verhaltenskodex ist ein durchschaubares Ablenkungsmanöver. Um Skandale wie um die Abgeordneten Nüßlein, Löbel und Amthor zu verhindern braucht es eine Verschärfung des Abgeordnetengesetzes, die unabhängig kontrolliert wird. Wie im Europaparlament sollten Abgeordnete nicht als Lobbyist im Nebenjob Geld verdienen dürfen und sie sollten ihre Lobbytreffen veröffentlichen. Nebeneinkünfte sollten im Bundestag wie in Brüssel ab dem ersten Euro offengelegt werden müssen, nicht erst nach bis zu 10.000 Euro wie bisher. Bürgerinnen und Bürger verdienen volle Transparenz wer ihre Abgeordneten in Treffen und mit Geld beeinflusst.“
Lobby-Nebenjobs: verboten im EP, kein Verbot im BT
Bundestag: kein Verbot
Europaparlament: In Artikel 2 (Wichtigste Pflichten der Mitglieder) des Verhaltenskodex:
“Im Rahmen ihres Mandats als Mitglieder des Europäischen Parlaments … c) gehen die Mitglieder keiner bezahlten gewerblichen Lobbytätigkeit nach, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beschlussfassungsprozess der Union steht.”
Lobby-Treffen: Pflicht zur Veröffentlichung im EP, keine Regel im BT
Bundestag: keine Transparenzregeln bisher, SPD MdBs bestätigen dass die Offenlegung von Lobbytreffen als legislativer Fußabdruck nicht mehr geplant ist
Europaparlament: In Artikel 11 der Geschäftsordnung (Finanzielle Interessen der Mitglieder und Transparenz-Register) heißt es “(2.) Die Mitglieder sollten sich systematisch nur mit Interessenvertretern treffen, die im durch die Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission eingerichteten Transparenz-Register registriert sind. (3.) Die Mitglieder sollten alle geplanten Treffen mit Interessenvertretern, die in den Geltungsbereich des Transparenz-Registers fallen, im Internet veröffentlichen. Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 6 der Anlage I müssen Berichterstatter, Schattenberichterstatter und Ausschussvorsitze für jeden Bericht alle geplanten Treffen mit Interessenvertretern, die in den Geltungsbereich des Transparenz-Registers fallen, im Internet veröffentlichen. Das Präsidium stellt auf der Website des Parlaments die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung.”
Anzeigepflicht Nebeneinkünfte: ab erstem Euro im EP, bis zu 10 000 Euro ohne Anzeigepflicht im BT
Bundestag: § 1 Anzeigepflicht “Die Anzeigepflicht für die Erstattung von Gutachten, für publizistische und Vortragstätigkeiten entfällt, wenn die Höhe der jeweils vereinbarten Einkünfte den Betrag von 1 000 Euro einmalig oder regelmäßig im Monat oder von 10 000 Euro im Jahr nicht übersteigt.”
§ 3 Veröffentlichung: “Die Stufe 1 erfasst einmalige oder regelmäßige monatliche Einkünfte einer Größenordnung von über 1 000 bis 3 500 Euro”
Europaparlament: Artikel 4(2) sieht als erste Kategorie 1-499 EUR vor.
Im Bundestag gibt es weitere Schwächen der Veröffentlichungspflichten bei Unternehmensbeteiligungen und für Anwälte
Bundestag: Offenzulegen sind laut §1 “6. Beteiligungen an Kapital- oder Personengesellschaften, wenn dadurch ein wesentlicher wirtschaftlicher Einfluss auf ein Unternehmen begründet wird. Die Grenzen der Anzeigepflicht legt der Präsident in den gemäß Absatz 4 zu erlassenden Ausführungsbestimmungen fest.”
Europaparlament: Im EP Verhaltenskodex heißt es breiter in Artikel 4(2) “f) jegliche Beteiligung an einem Unternehmen oder einer Personengesellschaft, die potenzielle Auswirkungen auf die öffentliche Politik in sich birgt oder die dem Mitglied einen erheblichen Einfluss auf die Angelegenheiten des betreffenden Unternehmens oder der betreffenden Personengesellschaft verschafft,”
Der Bundestag sieht Ausnahmen für Anwälte vor, die es im Europaparlament nicht gibt:
Bundestag: “(5) Die Anzeigepflicht umfasst nicht die Mitteilung von Tatsachen über Dritte, für die der Abgeordnete gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte oder Verschwiegenheitspflichten geltend machen kann. Der Präsident kann in diesen Fällen in den Ausführungsbestimmungen festlegen, dass die Anzeigepflicht so zu erfüllen ist, dass die in Satz 1 genannten Rechte nicht verletzt werden. Hierzu kann er insbesondere vorsehen, dass statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist.”
Spenden und (Geld-)Geschenke: BT akzeptiert anonyme Geldgeschenke bis 5000 Euro, EP verbietet Geschenke über 150 Euro
Bundestag: Zu § 4 Spenden:
“(1) Ein Mitglied des Bundestages hat über Geldspenden und geldwerte Zuwendungen aller Art (Spenden), die ihm für seine politische Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden, gesondert Rechnung zu führen.
(2) Eine Spende, deren Wert in einem Kalenderjahr 5 000 Euro übersteigt, ist unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe dem Präsidenten anzuzeigen.
...
(6) Geldwerte Zuwendungen, die ein Mitglied des Bundestages als Gastgeschenk in Bezug auf sein Mandat erhält, müssen dem Präsidenten angezeigt und ausgehändigt werden; das Mitglied kann beantragen, das Gastgeschenk gegen Bezahlung des Gegenwertes an die Bundeskasse zu behalten. Einer Anzeige bedarf es nicht, wenn der materielle Wert des Gastgeschenks einen Betrag nicht übersteigt, der in den Ausführungsbestimmungen des Präsidenten festgelegt wird (§ 1 Absatz 4)”
Europaparlament: Verhaltenskodex “Artikel 5 : Geschenke oder ähnliche Zuwendungen (1.) Die Mitglieder des Europäischen Parlaments versagen sich bei der Ausübung ihres Mandats die Annahme jeglicher Geschenke oder ähnlicher Zuwendungen außer solchen mit einem ungefähren Wert von unter 150 EUR, die nach den Gepflogenheiten der Höflichkeit überreicht werden, oder solchen, die ihnen nach den Gepflogenheiten der Höflichkeit überreicht werden, während sie das Parlament in amtlicher Funktion repräsentieren.”
Unabhängige Kontrolle: Präsident und Präsidium im BT, Arbeit an unabhängiger Ethik-Behörde im EP
Zu § 8 Verfahren: “(2) Ergibt sich nach der Überzeugung des Präsidenten, dass ein minder schwerer Fall bzw. leichte Fahrlässigkeit vorliegt (z. B. Überschreitung von Anzeigefristen), wird das betreffende Mitglied ermahnt. Ansonsten teilt der Präsident das Ergebnis der Überprüfung dem Präsidium und den Vorsitzenden der Fraktionen mit. Das Präsidium stellt nach Anhörung des betroffenen Mitglieds fest, ob ein Pflichtverstoß vorliegt.”
Das Europaparlament hat Daniel Freund zum Berichterstatter für eine unabhängige Ethik-Behörde gemacht, die Kommissionspräsidentin von der Leyen und alle europäischen Spitzenkandidaten zur Europawahl 2019 unterstützen.
Geschäftsordnung des Bundestags
Geschäftsordnung des BundestagsGeschäftsordnung des Europaparlaments
Geschäftsordnung des Europaparlaments, Annex IBerichtsentwurf von Daniel Freund (Grüne)
Berichtsentwurf von Daniel Freund (Grüne)