Daniel Freund

26. März 2021 Demokratie

Unser Ultimatum an die EU-Kommission: Schluss mit dem Bremsen beim Rechtsstaat oder wir ziehen vor den Europäischen Gerichtshof

Das EU-Parlament setzt ein dickes Ausrufezeichen! Mit deutlicher Mehrheit (529+/148-/10x) wurde gestern Abend eine Resolution angenommen, die die EU-Kommission beim Schutz des Rechtsstaats anzählt. Unser Ultimatum: Wenn die EU-Kommission den neuen Sanktionsmechanismus weiter nicht anwendet und uns bis zum 1. Juni keinen klaren Fahrplan vorlegt, ziehen wir mit einer Untätigkeitsklage vor den Europäischen Gerichtshof.

Der Mechanismus trat nach zähen Verhandlungen am 1. Januar 2021 in Kraft. Vertreter*innen der Kommission hatten zuletzt erklärt, man wolle den Ausgang der polnischen und ungarischen Klage gegen den Mechanismus vor dem Gerichtshof abwarten und zunächst Richtlinien für dessen Anwendung ausarbeiten. In der Resolution stellt das Parlament klar, dass weder eine anhängige Klage durch einen Mitgliedstaat gegen den Mechanismus, noch die Ausarbeitung von Richtlinien einen Aufschub der Anwendung rechtfertigen.

Jeder Tag ohne Sanktionen ist ein Etappen-Sieg für Orban

Jeder Tag, an dem die EU-Kommission Sanktionen nicht auslöst, ist ein Etappen-Sieg für Viktor Orban. In Ungarn werden nahezu täglich Fakten geschaffen. Radio-Sender müssen abschalten, Zeitungen werden nicht mehr ausgetragen. Gleichzeitig entwickelt die Fidesz-Regierung immer ausgeklügeltere Systeme, um EU-Gelder abzuschöpfen. Vieles davon wird sich nicht ohne weiteres einfach wieder zurückdrehen lassen. Gleichzeitig sind wir in der einzigartigen Situation, dass die EU-Kommission – die Hüterin der Verträge – sich weigert, bestehendes Europäisches Recht durchzusetzen. Das Gesetz zum Schutz des Rechtsstaates gilt seit dem 1. Januar. Die Beweislast gegen Viktor Orban ist erdrückend. Nicht nur in den vergangenen drei Monaten, sondern in den letzten zehn Jahren. Jetzt ist die Zeit für Sanktionen.

Ein letzter Warnschuss an die Kommission

Dass die Kommission hier nicht handelt ist grob fahrlässig. Da wird auf eine Zusatzerklärung mit der deutschen Ratspräsidentschaft hingewiesen. Da wird behauptet, man müsse noch Richtlinien ausarbeiten. Das sind billige Ausreden. Das Europäische Parlament akzeptiert diese Hinterzimmer-Deals nicht. Für uns ist diese Resolution ein letzter Warnschuss an die Kommission: Macht Eure Arbeit oder es gibt rechtliche Konsequenzen. Europas Rechtsstaat kann nicht warten. Wir werden nicht zulassen, dass die Grundrechte europäischer Bürgerinnen und Bürger weiter beschnitten werden. Gibt es bis zum Sommer kein Verfahren, muss sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EuGH verantworten.

9. Stresses that the Commission is obliged to inform the European Parliament and the Council without delay of any notification sent to Member States in case it has reasonable grounds to consider that the conditions for the adoption of measures set out in the Regulation are fulfilled; notices with disappointment the absence of any written notification to Member States since the entry into force of the Regulation, despite many concerns about breaches of the rule of law identified in the Commission’s 2020 Rule of Law Report [emphasis added], which have an impact on the sound financial management of the Union budget and remain unresolved by Member States; notes that the other procedures set out in Union legislation do not allow the Commission to protect the Union budget more effectively;

10. Calls on the Commission to keep the Parliament regularly informed about all ongoing investigations of breaches of the principles of the rule of law which could affect or seriously risk affecting the sound financial management of the Union budget in a sufficiently direct way as is its duty according to the Rule of Law conditionality Regulation and the inter-institutional framework agreement between the European Parliament and the Commission;

(...)

13. Stresses that the application of the Rule of Law conditionality Regulation cannot be subject to the adoption of guidelines [emphasis added] and urges the Commission to avoid any further delay in the application of the Regulation; recalls that any guidelines shall not undermine the intention of the co-legislators; notes that the Commission has begun to draft guidelines on the application of the Regulation; requests that, if the Commission deems such guidelines necessary, they are adopted as soon as possible and no later than 1 June 2021 and insists that Parliament is consulted prior to their adoption; [emphasis added]

14. In case the Commission does not fulfil its obligations under this Regulation and does not provide Parliament with information as mentioned above by 1 June 2021, Parliament will consider this to constitute a failure to act and subsequently shall take action under Article 265 TFEU against the Commission; [emphasis added]

Zum Abschluss der Verhandlungen im vergangenen Jahr hatte die Kommission auf Druck von Ungarn, Polen und der deutschen Ratspräsidentschaft einem Hinterzimmerdeal zugestimmt. Damit Ungarn und Polen der Schaffung des Mechanismus zustimmen, erklärte die Kommission, den Mechanismus nicht auslösen zu wollen, solange eine Klage gegen dessen Rechtmäßigkeit vor dem EuGH anhängig ist. Dies würde die Anwendung des Mechanismus um bis zu zwei Jahre hinausziehen. Zudem versprach sie, zunächst Richtlinien auszuarbeiten, in denen die Anwendung des Mechanismus genauer dargelegt wird.

Aus rechtlicher Sicht kann die Anwendung des Mechanismus nicht durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgehalten werden. Erst wenn der EuGH den Mechanismus in einem Urteil für nichtig erklärt, wäre es der Kommission untersagt, ihn anzuwenden. Auch die Ausarbeitung von Richtlinien ist rechtlich nicht notwendig, um den Mechanismus auszulösen.

Ungarn und Polen hatten vergangene Woche Klage gegen den Mechanismus vor dem EuGH eingereicht. Ein Urteil des Gerichtshofs steht noch aus. Das Parlament plant hier ein beschleunigtes Verfahren zu beantragen.