Daniel Freund

30. April 2021 Antikorruption

Erhebliches Korruptionsrisiko bei Corona-Milliarden: EU-Kommission verschläft Vorgehen gegen Betrug

Trotz einer Verdopplung der EU-Gelder hat die EU-Kommission keine angemessene Strategie, um Betrug mit den Milliardenhilfen zu verhindern. Bis zum heutigen Freitag müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten der EU bei der EU-Kommission ihre Pläne darüber einreichen, wie sie die Gelder aus den Corona-Hilfsfonds investieren wollen. In den kommenden Jahren werden sich die Zahlungen der EU an die Mitgliedstaaten aus dem Haushalt und aus Corona-Hilfen verdoppeln. Gleichzeitig erhöht die Kommission aber nicht annäherungsweise in gleichem Maße ihre Ressourcen für die Bekämpfung von Betrug und Korruption.

Zuletzt hatte Ungarn Pläne für die Finanzierung einer umstrittenen Hochschulreform vorgelegt, die vorsahen, Corona-Hilfen in undurchsichtige Stiftungsstrukturen zu stecken. Es besteht das Risiko, dass Vertraute des Premierministers Viktor Orban in Millionenhöhe davon profitieren würden. Nach harscher Kritik aus dem Europaparlament plant die ungarische Regierung Berichten zufolge, die Pläne vorerst auf Eis zulegen.

Daniel Freund, Vorsitzender der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe ‘Anti-Korruption’ im Europaparlament, kommentiert:

“Die Corona-Hilfen sind ein wichtiges Zeichen Europäischer Solidarität, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass enorme Geldströme immer auch Betrüger*innen anziehen, die sich am Geld Europäischer Steuerzahler*innen bereichern wollen. Betrug mit EU-Fördermitteln hat in einigen Mitgliedstaaten der EU Struktur. Jährlich versickern Milliardenbeträge in korrupten Kanälen. Gleichzeitig verpasst die EU-Kommission ein entschiedenes Vorgehen dagegen und setzt selbst existierende Werkzeuge zur Korruptionsbekämpfung nicht ein. Es kann nicht sein, dass Gelder, die für Europas Wiederaufbau bestimmt sind, in den Taschen von korrupten Oligarch*innen und Politiker*innen landen.”

Erhebliche Kontrollmängel attestiert durch EU Rechnungshof:
In ihrem letzten Jahresbericht attestierte der Europäische Rechnungshof der EU umfassende Mängel bei den Ausgaben. Rechnungshofpräsident Präsident Lehne erklärte, die Kontrollmechanismen der EU-Kommission (und Mitgliedsstaaten) seien schlicht nicht zuverlässig genug.

Kein entschiedenes Handeln gegen Interessenkonflikt von Andrej Babis:
Seit zwei Jahren prüft die Kommission nun, ob hier ein Interessenkonflikt vorliegt. Das Ergebnis der ersten Prüfung wurde letzte Woche endlich veröffentlicht, die Prüfung bezüglich der Agrarzuschüsse läuft noch immer. In der Zwischenzeit verhandelte Babis über den Mehrjährigen Finanzrahmen und den Corona-Rettungs- und Wiederaufbaufonds. Direktezahlungen aus dem Agrarfond an Agrofert können laut Kommission nicht suspendiert werden, da hier naturgemäß kein Interessenkonflikt vorliegen könnte.

Keine Suspendierung von Geldern: 
Sowohl unter der ‘Common Provisions Regulation’ (CPR) als auch dem Rechtsstaatsmechanismus kann die Kommission Gelder an Mitgliedstaaten suspendieren, wenn Beweise vorliegen, dass diese systematisch veruntreut werden. Der Rechtsstaatsmechanismus ist noch immer nicht zum Einsatz gekommen, und die CPR wurde von der Kommission in den letzten Jahren nur sehr sporadisch (und nicht in Ungarn) eingesetzt, obwohl offensichtlich ist, dass EU-Gelder vor allem in Ungarn systematisch zur Bereicherung z.B. von Orbans Kreisen missbraucht werden. 

Europäische Staatsanwaltschaft unterfinanziert und -besetzt:
Mindestens 55,5 Millionen Euro und 219 Mitarbeiter*innen benötigt EPPO laut eigener Aussage für das Jahr 2021, um die zu erwartende Anzahl an Fällen zu bearbeiten. Die Kommission gewährte EPPO nach langen Verhandlungen lediglich 45 Millionen Euro und 130 Mitarbeiter*innen.

Keinen Überblick über Empfänger*innen von EU Geldern:
Die Kommission hat keinen Überblick über die Empfänger*innen von EU-Geldern die unter dem System der geteilten Mittelverwaltung ausgezahlt werden (darunter fallen ca. 80% aller EU Gelder). Laut einer vom Haushaltskontrollausschuss beauftragten Studie ist es aufgrund der mangelhaften Datenlage nicht möglich, die 50 größten Empfänger*innen von EU Agrar- und Kohäsionsgeldern mit ausreichender Sicherheit zu bestimmen. Damit ist es z.B. auch nur schwer möglich festzustellen, ob Interessenkonflikte wie im Fall Babis vorliegen.

Internationale Verpflichtungen gegen Korruption seit 12 Jahren nicht umgesetzt:
Vor 12 Jahren ratifizierte die Kommission die UN Konvention gegen Korruption (UNCAC) und verpflichtete sich damit, eine regelmäßige Analyse ihrer Strategie zur Korruptionsbekämpfung vorzulegen. Bisher ist dies kein einziges Mal geschehen. Laut Kommission soll eine solche Analyse bis Mitte 2021 zum ersten mal vorgelegt werden.