Verfassungsausschuss des Europaparlaments für starke Bürgerbeteiligung im EU-Reformprozess
Die Konferenz zur Zukunft der EU dürfte eines der prägenden Projekte der Amtszeit von Ursula von der Leyen werden. Der Prozess für eine tiefgreifende Reform der Europäischen Institutionen soll bereits im kommenden Frühjahr starten. Am Montagabend hat eine breite Mehrheit der Abgeordneten im Verfassungsausschuss eine Stellungnahme beschlossen, die die Marschrichtung für die kommenden Monate vorgeben soll. Die Pläne des Parlaments sind ambitioniert: Bürger*innen sollen in europaweiten Bürgerversammlungen in den Prozess einbezogen werden. Die EU-Institutionen sollen sich darauf verpflichten, Beschlüsse der Konferenz zeitnah zu diskutieren. Das schließt auch eine Änderung der Europäischen Verträge ein.
Daniel Freund, Berichterstatter und Obmann für die Grünen im Verfassungsausschuss, kommentiert:
“Das Parlament hat erstmals seine ambitionierten Pläne für den Reformprozess festgezurrt. Es ist ein erster Schritt, der am Ende zu einer Änderung der Europäischen Verträge führen kann. Die EU steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen: Klimawandel, Digitalisierung, Brexit, Konflikte in unserer Nachbarschaft. Wir brauchen grundlegende Reformen, um die EU stärker und handlungsfähiger zu machen. Es kann nicht sein, dass ein einziger Mitgliedstaat verhindert, dass wir in der Welt mit einer starken Stimme sprechen.”
“Die pro-europäischen Fraktionen im Europaparlament haben in den vergangenen Wochen sehr eng zusammengearbeitet. Die Abgeordneten sind sich einig, dass Bürgerinnen und Bürger eine führende Rolle in der Konferenz spielen sollen, um die Europäische Union demokratischer, transparenter und handlungsfähiger zu machen. Bürgerversammlungen auf europäischer Ebene sollen dazu beitragen, dass die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in dem Reformprozess die Richtung vorgeben.”
“Die Konferenz darf keine weitere Quasselbude werden, sondern muss mit einem starken Mandat ausgestattet sein. Es ist ein starkes Signal aller pro-europäischen Fraktionen im Verfassungsausschuss, sich auf eine umfassende Diskussion aller EU-Organe zu verpflichten, sollte die Konferenz Vertragsänderungen vorschlagen. Zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ist es Zeit, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern erneut die Möglichkeit zu geben, über die Zukunft der Union zu debattieren.”
HINTERGRUND 1: Kerninhalte der Stellungnahme
An der Konferenz teilnehmen sollen Europaabgeordnete, nationale Abgeordnete (z.B. aus dem Bundestag), EU-Kommissare, Vertreter des Rates der Mitgliedstaaten, der Zivilgesellschaft, der Sozialpartner (Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter) sowie Bürger. Die Vertreter in der Konferenz, vor allem repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, sollen die Vielfalt Europas bei Alter, Geschlecht, Herkunft und bei sozialen Schichten abbilden. (§3)
Mit den richtigen online-Plattformen sollen sich alle EU-Bürger an der Arbeit der Konferenz beteiligen können. Die Konferenz soll durch eine breite Kampagne europaweit bekannt gemacht werden. Jugendliche sollen besonders beteiligt werden. (§5)
Kernthema der Konferenz sollte sein, wie Europa möglichst handlungsfähig werden kann. Die Bürger und die Konferenz sollten Themen auch selbst setzen können. (§8, 9)
Wie die nächsten Europawahlen 2024 noch europäischer werden können, z.B. mit Spitzenkandidaten und transnationalen Wahllisten, soll rechtzeitig vorher geklärt werden. (§10)
Das Europaparlament bietet an, die Konferenz in seinen Räumen stattfinden zu lassen und verpflichtet sich für Transparenz per web-Streaming und Veröffentlichung der Dokumente zu sorgen. (§12)
In einer formellen Vereinbarung der EU-Institutionen sollten sich diese dazu verpflichten, die Ergebnisse der Konferenz rechtlich auf den Weg zu bringen, als EU-Gesetz oder Änderung der EU-Verträge. (§14) Das Parlament selbst verpflichtet sich, sein Recht zu nutzen, Vertragsänderungen nach Artikel 48 des EU-Vertrags förmlich dem Europäischen Rat vorzuschlagen. (§15) So würde erstmals seit 2002 wieder ein EU-Konvent einberufen.
HINTERGRUND 2: weiteres Verfahren
Der Verfassungsausschuss schickt diese Stellungnahme an die Arbeitsgruppe zur Konferenz zur Zukunft Europas. Diese Arbeitsgruppe wurde von der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden eingesetzt und soll den Fraktionsvorsitzenden einen einen Vorschlag für das Konzept des Parlaments für die Konferenz über die Zukunft Europas (darunter Umfang, Leitung, Dauer, Aufbau, Interessenträger, Ziele, geplante Maßnahmen und erwartete Ergebnisse) vorbereiten. Diese Arbeitsgruppe will am Dienstag 17. Dezember in einer letzten Sitzung Schlussfolgerungen beschließen. Voraussichtlich im Januar 2020 soll im Plenum des Europaparlaments eine Resolution die Position des Parlaments beschließen. Sobald der Europäische Rat aus europäischen Staats- und Regierungschefs eine Position beschlossen hat, verhandeln Parlament, Rat und EU-Kommission um die Details der Konferenz. Sie soll von 2020 bis 2022 tagen.
HINTERGRUND 3: Die Stellungnahme als PDF-DATEI (auf Englisch)